Klimaschutz, Sozialstaat und Antirassismus haben die Wahl in Dänemark entschieden. Jetzt steht die Sozialdemokratie unter Erwartungsdruck. Von Charlie Lywood
Das Hauptergebnis der dänischen Parlamentswahl vom 5. Juni war ein Linksruck. Es gab einen sehr deutlichen Zuwachs für Parteien, die sich ernsthaft mit dem Klimathema befasst haben, die das Sozialsystem stärken wollen und die sich dem Rassismus entgegengestellt haben, insbesondere bei der Sozialistischen Volkspartei (SF, linksreformistisch) und der liberalen Partei Die Radikale Linke (der Name ist irreführend, sie wird aber von vielen als Hauptgegnerin der rassistischen Gesetze in Dänemark angesehen). Die Linke Grüne Allianz (linksreformistisch) hat ihren Anteil gehalten.
Zusammen mit einer kleinen grünen Partei – Alternative – haben diese Parteien 26 Prozent der Stimmen erhalten, genau wie die Sozialdemokraten (S). Insgesamt haben diese Parteien 52 Prozent der Stimmen erhalten und somit der Mitte-Rechts-Koalition eine Niederlage zugefügt, die von der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei (DF) unterstützt wurde. Letztere verlor mehr als die Hälfte ihrer Stimmen – ihr Anteil fiel von 21,5 Prozent im Jahr 2015 auf 8,5 Prozent). Dies ist eine massive Niederlage für diese rassistische Partei.
Rentenalter und Klimaschutz
Die Gründe für diese Verschiebung sind vielfältig. Einer davon ist die Enttäuschung die Rentenpolitik. Die Mitte-Rechts-Koalition hat beschlossen, das Rentenalter schrittweise von 65 auf 72 Jahre zu steigern und vielleicht noch höher, wenn die Menschen länger leben – mit Unterstützung der Sozialdemokraten, aber auch der Dänischen Volkspartei. Ein anderer Grund ist die Anzahl der Betreuerinnen und Betreuer von Kindern in Kindergärten, die in den letzten 20 Jahren zu einem wichtigen Symbol des Widerstands gegen den Sozialabbau geworden ist.
Das Klima war das wichtigste Thema während des Wahlkampfes. Alle Parteien haben Lippenbekenntnisse dazu abgegeben. Dennoch wurden diejenigen Parteien, die für radikale Lösungen in dieser Frage stehen, oder zumindest sagen, dass sie sich dafür einsetzen werden, im Allgemeinen von den Wählerinnen und Wählern belohnt.
Stimmung in Dänemark schwingt nach links
Es gab eine bemerkenswerte Bewegung von Wählerinnen und Wählern aus der Arbeiterklasse von DF zu S. Zudem hat die Unzufriedenheit mit der rechten sozialdemokratischen Führung in der Frage der Migration – die alle hässlichen rassistischen Gesetze unterstützt hat, die in den letzten Jahren in Dänemark durchgesetzt wurden – Tausende von Wählerinnen und Wählern dazu veranlasst, von S zur SF zu wechseln. Damit hat die SF sehr bedeutende Zuwächse zu verzeichnen.
Die Rot-Grüne Allianz (EL) konnte von dieser Wählerwanderung nicht profitieren und verlor sogar ein wenig an Boden. Dennoch ist es der Partei im Wesentlichen gelungen, die bei den Wahlen 2015 erreichte Position zu halten, die sie aufgrund der Enttäuschung von der früheren S- und SF-Regierung von Helle Thorning-Schmidt 2012-15 erreicht hatte. Aber es war sowohl vor als auch nach der Wahl schwierig, den Unterschied zwischen SF und EL zu erkennen. Alles in allem: ein Stimmungsumschwung nach links und eine Stärkung der Mitte-Links-Parteien im Folketing, dem Parlament.
Bruch mit dem Neoliberalismus
Der massive Niedergang der DF, die Schwächung der übrigen rechten Parteien und die Wählerwanderung der Arbeiter von dort hin zur Sozialdemokratie sowie von S nach SF sind Ausdruck eines ausgeprägten und grundlegenden Wunsches der Arbeiterklasse nach einem Bruch mit der bisherigen harten neoliberalen Politik. Niemand hat dies deutlicher erkannt als der scheidende Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen, der sich noch während des Wahlkampfes um 180 Grad gedreht und opportunistische Vorschläge für einen Umbau des Sozialstaats und größere Anstrengungen für das Klima gemacht hat. Er hat sogar eine enge Zusammenarbeit zwischen S und seiner Partei Linke (V), vorzugsweise eine S-V-Regierung, vorgeschlagen. Selbst in der Frage der Migration gab es eine spürbare Auflockerung des Tons und einige symbolische Versprechungen.
Mette Frederiksen (die Vorsitzende der Sozialdemokraten) wird daher versuchen, eine Regierung zu bilden, während die Arbeiterklasse nach echten Veränderungen sucht. Dabei braucht Frederiksen die Unterstützung der Parteien links von ihr in den Bereichen Soziales und Migration und rechts von ihr in der Wirtschaftspolitik. Es wird erwartet, dass eine neue Regierung die Sozialsysteme wieder stärkt, die Erhöhung des Rentenalters stoppt und das Klima-Thema viel aggressiver angeht. Aber auch in der Frage der Flüchtlinge stimmten viele links (oder für die liberale Partei), weil sie eine Aufweichung der Hardliner-Politik wollen, die von der vorherigen Regierung verfolgt und von den Sozialdemokraten unterstützt (und manchmal sogar überholt) wurde. Viele Menschen fürchten sich vor den Folgen dieser rassistischen Politik, da sie die Monströsität einer neofaschistischen Partei geschaffen hat, die in Einwandererviertel geht (unter massivem Polizeischutz), den Koran verbrennt und die gewaltsame Abschiebung von nicht-Europäern unterstützt.
Sozialdemokratie unter Druck
Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Sozialdemokratie allein diese Erwartungen erfüllen wird. Ohne Druck von unten wird die Partei sie enttäuschen. Insbesondere, wenn es darum geht, die Erhöhung des Rentenalters zu stoppen und um die Wiederherstellung des Sozialstaates. Und es wird viele leere Worte über das Klima geben – wo schon ihre Ziele nicht besonders ehrgeizig sind. Auch in der Frage der Migration ist es unwahrscheinlich, dass sie sich von der vorherigen Regierung unterscheiden werden.
Die Sozialdemokraten leben jedoch nicht in einem Vakuum. Sie stehen unter Druck sowohl durch die Erwartungen der Beschäftigten, durch ihre Mitglieder und durch die linken und grünen Parteien, die zusammen genauso stark sind wie sie.
Viele Aktionen im Wahlkampf
Die politischen Bedingungen sind jetzt reif für eine Offensive der Linken in Dänemark. Die Erwartungen der Arbeiterklasse sind hoch. Es gab massive Demonstrationen zum Thema Klima, Sozialstaat und gegen Rassismus. Es war die am meisten von politischen Aktivitäten begleitete Wahl, die der Autor dieser Zeilen je erlebt hat – seit den Wahlen Anfang der 70er Jahre. Während des gesamten Wahlkampfes gab es täglich Proteste und Aktionen. Alle Menschen, die in Bezug auf die Wiederherstellung von Sozialstaat, Klimaschutz und Antirassismus auf der Straße waren, sollten sich zusammentun und Druck auf die Verhandlungen ausüben, die Sozialdemokraten mit SF, EL und der liberalen Partei hinter verschlossenen Türen führen.
Dafür müsste so mobilisiert werden, wie es die Gewerkschaften im Rahmen der Tarifverhandlungen im Frühjahr 2018 getan haben, als ein bemerkenswertes Wiederaufleben der Solidarität die Angriffe der Arbeitgeber auf die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes gestoppt hat. Das würde größtmöglichen Druck auf die Sozialdemokraten ausüben und die Linksreformisten stärken. Es ist daher erfreulich, dass die aktivsten Gewerkschaften rund um Kopenhagen während der Verhandlungen täglich eine Demonstration außerhalb des Folketings organisiert haben. Dies sollte von allen unterstützt werden.
Die Forderungen der Gewerkschaften sind auf die Wiederherstellung der Sozialsysteme ausgerichtet. Aber es gibt nichts, was die Klimabewegung (die bereits wöchentliche Erinnerungsaktionen außerhalb des Folketings organisiert) und das antirassistische Netzwerk daran hindert, sich ihnen anzuschließen, und die Demonstrationen zu einer gemeinsamen Manifestation zu machen, um den Druck zu erhöhen.
Wut kann nach rechts oder links kippen
Wenn dieser Druck und diese Mobilisierung jedoch nicht funktionieren oder nicht groß genug sind, könnte das Ergebnis sein, dass Desillusionierung noch mehr Wut auf die Politik erzeugt, die nicht liefert. Diese Wut kann entweder nach rechts oder nach links wandern. In anderen europäischen Ländern hat sie dazu geführt, dass ein großer Teil der Arbeiterklasse sich weigert, an den Wahlen teilzunehmen. Oder sie hat Bewegungen hervorgebracht wie die Gelbwesten in Frankreich, die sich außerhalb des formalen und traditionellen politischen Systems befinden.
Zur Klimaproblematik könnte man sich eine Stärkung der militanten Gruppe Extinction Rebellion vorstellen, die bereits während des Wahlkampfes direkte Aktionen auf der Straße organisiert hat. Die moderateren Teile der Klimabewegung würden sich wahrscheinlich auch radikalisieren, wenn den Klimaveränderungen nicht radikaler begegnet wird…
Aber Wut und Desillusionierung könnten auch eine stärkere Unterstützung für den harten Kurs der beiden neofaschistischen Parteien bedeuten (die mit 60.000 Wählerinnen und Wählern knapp 2 Prozent der Stimmen erhielten, aber nicht gewählt wurden) – oder für die neuen Bürgerlichen (die mit 2,4 Prozent der Stimmen gewählt wurden). Die Gefahr der Entwicklung einer straßenkämpferischen faschistischen Partei besteht. Die Bedrohung ist sehr real.
Tarifverhandlungen in Dänemark
Der Stimmungswandel in der Arbeiterklasse, den wir bei den Wahlen gesehen haben, kann jedoch auch ein größeres Selbstbewusstsein im Kampf gegen die Angriffe auf das Sozialsystem und die Salami-Taktik bei Löhnen und Arbeitsbedingungen, sowohl im privaten als auch im öffentlichen Sektor, bedeuten. Bei den bevorstehenden Tarifverhandlungen auf dem privaten Arbeitsmarkt im Jahr 2019 wird es Forderungen nach einem Plus in der Lohntüte geben. Die Löhne stagnieren, während die Gewinne explodieren. Dies dürfte im nächsten Jahr zu Kämpfen auf lokaler und nationaler Ebene führen, unabhängig davon, wer das Land führt.
Die Situation im Gesundheitswesen, in der Altenpflege, in den Kindertagesstätten und im Bildungsbereich ist von anhaltenden Kürzungen geprägt. Das wird zwangsläufig zu einer Reaktion führen. Heute stimmen viele mit den Füßen ab, indem sie vor einer unerträglichen Arbeitsbelastung und niedrigen Löhnen fliehen, die nicht den Anforderungen und Bedürfnissen von Menschen entsprechen, die vom Sozialstaat abhängig sind. Bei den Eltern von Kindern in Kindertagesstätten hat es eine Rebellion gegeben. Diese wird nicht nur wegen der Versprechungen im Wahlkampf verschwinden.
Alles hängt davon ab, ob eine sozialdemokratisch geführte Regierung liefern wird oder nicht. Der absurde Anstieg des Rentenalters ist ein brisantes Thema, das in den Gemeinden der Arbeiterklasse große Angst ausgelöst hat. Dies wird extremen Druck auf die Gewerkschaften ausüben, eine neue Regierung dazu zu drängen, diese Frage zu lösen. Für Sozialisten ist die Situation günstig. Gemeinschaftsideen, demokratische Produktionsplanung und die Bekämpfung von Ungleichheit und Rassismus sind für Millionen von Menschen relevant und stehen im Einklang mit dem Zeitgeist.
Dies ist eine übersetzte und bearbeitete Version eines Artikels von Charlie Lywood und Jens Bøjsen. Übersetzung: Franziska Wöckel.
http://socialister.dk/mobiliser-under-regerings-forhandlingerne/
Teile stammen von einem Artikel, den Charlie Lywood kurz nach der Wahl geschrieben hat:
http://socialister.dk/the-times-they-are-a-changing/
Schlagwörter: Antirassismus, Dänemark, Klimaschutz, Sozialdemokratie