Der Erfolg von Geert Wilders und seiner Partei der Freiheit (PVV) in den Niederlanden ist ein Musterbeispiel für die Verrohung und Entsolidarisierung, die rassistische Bewegungen auslösen können. Wenn die Linke ihn stoppen will, braucht sie einen Kurswechsel. Von Freek Blauwhof
Schon seit mehr als zehn Jahren wettert Geert Wilders, Vorsitzender und einziges Mitglied der Partei der Freiheit (PVV) gegen Muslime und andere Minderheiten, die EU-Bürokratie, den Euro und die angeblich linke Elite in Politik und Medien – mit beachtlichem Erfolg: Seit 2006 fährt er regelmäßig zweistellige Wahlergebnisse ein. Umfragen zufolge könnte die PVV bei der heutigen Parlamentswahl auf mehr als 20 Prozent der Stimmen kommen (etwa doppelt so viel wie 2012). Sie könnte damit stärkste Kraft werden.
Seit Wilders im September 2004 aus der Fraktion der wirtschaftsliberalen Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) ausgeschlossen wurde und seine eigene Partei gründete, ist bei ihm eine kontinuierliche Radikalisierung festzustellen. In seinen Tweets, in seinen Reden, in seinen Interviews hetzt der 53-jährige gegen alle, die nicht seiner Meinung sind. Wilders Hauptsündenbock sind Muslimas und Muslime.
Rassistische Verschwörungstheorien und Hass gegen Muslime
Wo er im Jahr 2004 seine Hetze noch auf »Radikale« beschränkte, nahm er schon bald Muslimas und Muslime im Allgemeinen ins Visier. Inzwischen nennt er den Islam regelmäßig eine »faschistische Ideologie« und spricht von einer »islamischen Invasion« oder einem »Tsunami der Islamisierung«. Er verbreitet die rassistische Verschwörungstheorie, dass Muslimas und Muslime nach Europa kommen würden, um mit Billigung oder Hilfe der vermeintlichen linken Elite ein Großkalifat zu errichten. Im Jahr 2008 führte Wilders auf einer Veranstaltung des Hudson Institute in New York aus: »Sie kommen, um unsere Gesellschaft in ihren Dar-al-Islam einzugliedern. Also sind sie Siedler. (…) Wir befinden uns vielleicht in den letzten Phasen der Islamisierung Europas. Dies ist nicht nur eine klare Bedrohung für die Zukunft Europas, sondern auch für die USA und den Westen an sich.«
Auf diese Art und Weise deutet er seit Jahren das Tagesgeschehen. Mit der Festlegung auf das Thema Islam will er seinen Aufstieg fortsetzen und an den europaweiten Erfolgen der radikalen Rechten anknüpfen. Vom Front National in Frankreich über die FPÖ in Österreich und die Lega Nord in Italien bis hin zum Vlaams Belang in Belgien – all diese Parteien konnten mit einem scharfen Anti-Islam-Profil Wahlerfolge feiern. Dementsprechend gestaltete sich der Wahlkampf der PVV: Alle Moscheen und islamischen Schulen sollen geschlossen und das öffentliche Tragen von Kopftüchern und der Koran verboten werden. Wilders will zudem Migrantinnen und Migranten aus muslimischen Ländern die Einreise verwehren und die Aufnahmezentren für Geflüchtete in den Niederlanden schließen.
Großer Frust über die etablierte Politik
Wilders’ Aufstieg in den Niederlanden vollzog sich im angespannten Klima nach den Anschlägen auf das World Trade Center in New York (2001) und der Ermordung des rechten Politikers Pim Fortuyn (2002) sowie des islamophoben Filmmachers Theo van Gogh (2004). Zudem hat die rabiate Kürzungspolitik, welche die herrschenden Parteien seit Ausbruch der Weltwirtschaftskrise gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung durchdrücken, zu großem Frust über die etablierte Politik geführt. Verständlicherweise sind Millionen Menschen empört über Rentenkürzungen und die Rente mit 67, über Steuererhöhungen für Normalverdienende und den massiven Abbau der öffentlichen Gesundheitsversorgung. So müssen Patientinnen und Patienten trotz Krankenversicherung mindestens die ersten 375 Euro selbst zahlen, bevor die Kassen irgendeine Rechnung übernehmen – mit Ausnahme des Hausarztbesuches.
Genau diesen Frust versucht Wilders für sich zu mobilisieren, indem er sich als Sprachrohr der kleinen Leute gegen die Elite und die EU anbietet. Dabei gehörte er als Mitarbeiter und Abgeordneter der liberalen VVD (1990-2004) und als parlamentarische Stütze der Minderheitsregierung Rutte I (VVD-CDA) 2010 bis 2012 genau dieser neoliberalen Elite an. Auch danach stimmte Wilders’ Partei entgegen ihren Wahlversprechen für Privatisierungen im ÖPNV und in der Pflege und gegen eine Veröffentlichungspflicht für Nebenverdienste von Ministerinnen und Ministern.
Wilders ist keineswegs isoliert
Wilders gibt sich also sozial vor der Wahl, um anschließend ebenfalls Kürzungspolitik zu betreiben. Über die strukturellen Ursachen der Krise, die Schuld der Banken und Konzerne, den Abbau von Tarifverträgen und die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen in der EU sagt er nichts. Stattdessen stempelt er Minderheiten zu Sündenböcken ab, auf die er den Frust in der Bevölkerung lenken kann. So verbreitet er regelmäßig die Behauptung, die weißen niederländischen »Henk und Ingrid« würden für »Ahmed und Fatima« bezahlen. Auch polnischen LKW-Fahrerinnen und -Fahrern wirft er vor, den niederländischen Kollegen die Jobs wegzunehmen. Dementsprechend glaubt ein beachtlicher Teil seiner Wählerinnen und Wähler, dass sie ein persönliches wirtschaftliches Interesse an Diskriminierung, Ausgrenzung und Abschiebung verschiedener Minderheiten hätten.
Trotz seiner absurden Lügen und seines Rassismus ist Wilders in den Medien und im Parlament keineswegs isoliert. Im Gegenteil – mit seiner andauernden Hetze konnte er mehr Medienaufmerksamkeit gewinnen als alle anderen Politikerinnen und Politiker in den vergangenen zehn Jahren. Damit hat er das politische Klima in den Niederlanden ernsthaft vergiftet.
Die Linke hat im Kampf gegen Wilders versagt
Dies wird noch dadurch verstärkt, dass die Parteien der Mitte und zum großen Teil auch die linken Parteien dabei versagt haben, Wilders’ Rassismus klar zu benennen und ihn prinzipiell zu bekämpfen. Nach dem Motto »Ignorier ihn, dann wird er sich schon selbst enttarnen« weigerten sich die sozialdemokratische Partei der Arbeit (PvdA), die grüne Partei Groenlinks und zum großen Teil selbst die Sozialistische Partei (SP), Wilders einen Rassisten zu nennen, geschweige denn aktiv Gegenproteste zu organisieren oder zumindest sich an geplanten Protesten zu beteiligen. Der Journalist und Sozialist Max von der Lingen aus Amsterdam kritisiert, dass die Parteiführung der SP eine »falsche Strategie« im Umgang mit Wilders habe: »Sie beschränkt ihre Kritik an Wilders auf das Enttarnen seiner neoliberalen Politik und schweigt zu seinem Rassismus.«
Die Angst der Führung der SP, mit einem klaren antirassistischen Kurs Stimmen an Wilders zu verlieren, mündete in einer selbsterfüllenden Prophezeiung: Da die etablierte Linke nicht gegen den Rassismus aufgestanden ist, hat Wilders seinen Weg bis in die Arbeiterklasse gefunden. Allerdings kommt die Mehrheit der PVV-Stimmen aus reicheren Schichten.
Zwei neue antirassistische Parteien
Infolge des Versäumnisses der Linken, einen klaren antirassistischen Kurs einzuschlagen, haben Migrantinnen und Migranten zwei neue Parteien gegründet: »DENK« und »Artikel 1«. DENK (zu Deutsch: Denk nach) wurde von zwei ehemaligen Sozialdemokraten, Selcuk Öztürk und Tunahan Kuzu, gegründet. Ihnen gefiel nicht, wie die PvdA in der Einwanderungs- und Wirtschaftspolitik nach rechts rückte. Die beiden türkischstämmigen Abgeordneten erklärten Ende 2014 ihren Austritt. Ein Auslöser war, dass ein Parteikollege, der damalige Sozialminister Lodewijk Asscher, beschlossen hatte, Organisationen wie Millî Göruş schärfer zu überwachen. Außerdem stellte er eine Studie vor, wonach junge türkischstämmige Niederländerinnen und Niederländer große Sympathien für den »Islamischen Staat« empfänden. Letztere Aussage musste er wegen Fehlern in der Studie abschwächen, er distanzierte sich dennoch nicht davon.
»Artikel 1« wurde von der Journalistin und Fernsehmoderatorin Sylvana Simons, die eigentlich als Spitzenkandidatin von DENK vorgesehen war, gegründet. Die Gründung von »Artikel 1« war eine Reaktion auf die konservative Seite von DENK. So hatte die Führung von DENK die türkische Regierungspolitik unter Erdogan verteidigt.
Offensiver Kampf gegen Rassismus
Die beiden Neugründungen sprechen vielen Migrantinnen und Migranten aus der Seele: Nicht dieselben Chancen in der Gesellschaft zu haben, als Menschen zweiter Klasse angesehen zu werden, Opfer jenes Rassismus zu sein, den Wilders weiter anstachelt, und der, wie etwa in der Figur des Nikolaushelfers »Zwarte Piet« (schwarzer Peter), immer noch tief in der Gesellschaft verankert ist. Für die Rechten in den Niederlanden sind die beiden Parteien zu einem Hassobjekt geworden, weil sie selbstbewusst, manchmal auch plakativ und provozierend, für die Gleichberechtigung von Migrantinnen und Migranten eintreten.
Wenn die Linke in den Niederladen den weiteren Aufstieg Wilders’ und den Rassismus stoppen will, muss sie sich ändern. Das gilt für die Sozialdemokraten und die Grünen, aber besonders für die SP. Niels Jongerius, Aktivist und Mitglied der SP, sieht das ähnlich: »Ich teile die Kritik, dass die SP nicht Motor der antirassistischen Bewegung ist und mehr machen könnte. Ich denke auch, dass die Gründung von »Artikel 1« sich erübrigt hätte, wenn wir als linke Partei offensiv antirassistische Politik betrieben hätten.«
Foto: Alex E. Proimos
Schlagwörter: Islamfeindlichkeit, Niederlande, PVV, Rassismus, Sozialistische Partei, Wilders