Die AfD ist die drittstärkste Fraktion im Bundestag. Ein Schock für viele. Wir beantworten die wichtigsten Fragen zu dieser Partei und diskutieren wirksame Strategien gegen die Nazis in Nadelstreifen. Ein FAQ von Lucia Schnell
Ist die AfD wirklich so gefährlich?
Ja. »Spiegel Online«-Kolumnist Jan Fleischhauer meint, die Gefahr, die von der AfD ausgeht, werde übertrieben. Wie bei den Grünen würden die »radikalen« Elemente in der Partei irgendwann gezähmt. Eine solche Sichtweise ignoriert, dass gegenwärtig eher das Gegenteil der Fall ist und der neofaschistische Flügel in der AfD dabei ist, sich durchzusetzen. Der nationalkonservative Flügel der AfD ist geschwächt. Seine Führungsfigur Frauke Petry hat Fraktion und Partei verlassen. Sie kapituliert damit bereits vor den Vorstandswahlen auf dem Parteitag am 2./3. Dezember in Hannover vor der Stärke des neofaschistischen-Flügels. Dieser wiederum stellt die Mehrheit in der Bundestagsfraktion. Die »braune Eminenz« Alexander Gauland hält die Tore für rassistische und faschistische Kräfte offen. Die Partei ist so zum Kristallisationspunkt einer rechten, offen rassistischen Szene geworden. Es gab bereits massenhafte Übertritte aus der rechten Partei Die Freiheit zur AfD, auch ehemalige Mitglieder der NPD können nach Recherchen des ARD-Magazins »Monitor« problemlos in der Partei wirken. Es ist brandgefährlich, die AfD als bürgerlich-konservative Opposition zu verharmlosen. Die Gefahr einer neuen faschistischen Massenpartei ist seit dem Wahlerfolg größer geworden.
Ist es richtig, in Bezug auf die AfD von Faschisten zu sprechen?
Ja. Doch da ein offenes Bekenntnis zum Nationalsozialismus politischer Selbstmord wäre, versuchen Faschistinnen und Faschisten seit dem Zweiten Weltkrieg, aus der Naziecke herauszukommen, indem sie sich ein nationalkonservatives Mäntelchen umhängen. Statt auf den Hitlerfaschismus beziehen sie sich auf einen seiner ideologischen Vorläufer und Wegbereiter, die »Konservative Revolution«. Das macht sie nicht weniger gefährlich. Im Kampf um die Macht verfolgt der Naziflügel in der AfD eine vergleichbare Strategie wie damals die NSDAP. Die Parlamente sind ein Element darin, aber nicht das zentrale. Parallel versucht er, Macht auf der Straße aufzubauen. Björn Höcke hat deutlich gemacht, was für eine Partei er will: eine »fundamentaloppositionelle Bewegungspartei«. Höcke war auch der erste AfD-Politiker, der erfolgreiche Straßenproteste organisierte. Die AfD bezeichnete er als »letzte friedliche Chance für unser Vaterland« – eine unverhohlene Androhung von Gewalt, sollte sie nicht auf parlamentarischem Weg an die Macht gelangen. Gestützt wird dieser Flügel von Alexander Gauland, der betont, die »Politik bis aufs Messer bekämpfen« zu wollen.
Ist es richtig, die AfD im Bundestag zu isolieren?
Ja. Die AfD ist eine Gefahr für die Demokratie, auch wenn sie sich als demokratische Partei tarnt. Es wäre naiv, sich täuschen zu lassen. NS-Propagandist Joseph Goebbels schrieb 1928 offen: »Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns im Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen. Wir werden Reichstagsabgeordnete, um die Weimarer Gesinnung mit ihrer eigenen Unterstützung lahmzulegen. (…) Uns ist jedes gesetzliche Mittel recht, den Zustand von heute zu revolutionieren.« Außerparlamentarische Proteste und parlamentarische Abgrenzung können den Spaltkeil zwischen Nationalkonservative und Neofaschisten in der AfD treiben und die inneren Widersprüche in der Partei verstärken.
Insofern ist es richtig, keine AfD-Kandidatinnen oder -Kandidaten im Bundestag in Ämter zu wählen und keinerlei Initiativen oder Anträge der Partei zu unterstützen, gleich welchen Inhalts. Denn wenn die Nationalkonservativen die parlamentarischen Ämter ausüben dürfen, können sie weiter ihre Feigenblatt-Funktion für die Neofaschisten erfüllen. Damit ginge das Versteckspiel der AfD auf.
Hilft der AfD die Ausgrenzung nicht eher?
Nein. In Schleswig-Holstein wird der »Schweriner Weg«, die Abgrenzung der anderen Parteien, die jahrelang gegenüber der NPD-Fraktion im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern geübt wurde, auf die AfD-Fraktion im Landtag angewandt. Zudem gab es zahlreiche außerparlamentarische Aktivitäten bis weit in die Gewerkschaften und von der Kampagne »Aufstehen gegen Rassismus« gegen die AfD im Landtags- und im Bundestagswahlkampf. Die Ausgrenzung hat der AfD nicht geholfen: Die Partei hat in Schleswig-Holstein mit 8,2 Prozent das zweitschlechteste Ergebnis in einem Bundesland bei der Bundestagswahl geholt.
Kann sich die AfD durch die Ausgrenzung nicht als Opfer darstellen?
Nein. Für die harte Anhängerschaft der AfD mag die Ausgrenzung ihre Selbstwahrnehmung als Opfer bestätigen, für ein weiteres Ausgreifen in die Bevölkerung ist die öffentliche Ächtung aber ein großes Problem. In dem internen Strategiepapier der AfD »Manifest 2017« wird beschrieben, wie wirkungsvoll die vielfältigen Proteste und Aktionen gegen die AfD sind: Sie führten zu Frustration bei aktiven Parteimitgliedern. Außerdem trügen Störaktionen »in der Öffentlichkeit, vor allem in der Mittelschicht und bei Interessengruppen zum Eindruck bei, dass die AfD ein Stigma trägt und man sich nicht mit ihr zeigen sollte«. Außerdem ist die AfD ist kein Opfer, sondern ermuntert rechte Gewalttaten. Es ist kein Zufall, dass auch AfD-Mitglieder zum Unterstützer-Umfeld der rechten Terrorzelle in der Bundeswehr um Franco A. gehören. Es wäre naiv, zu glauben, wenn man »fair« mit der AfD umgehen würde, dass diese ihrerseits »fair« würde. Sie kündigt das Gegenteil offen an: Der AfD-Bundestagsabgeordnete Markus Frohnmaier, der bei der rechten, gewalttätigen German Defence League aktiv war, 2016 der Pressesprecher von Petry war und nun der von Alice Weidel ist, rief im Jahr 2015 in Erfurt vor 4000 AfD-Anhängern: »Ich sage diesen linken Gesinnungsterroristen, diesem Parteienfilz ganz klar: Wenn wir kommen, dann wird aufgeräumt, dann wird ausgemistet, dann wird wieder Politik für das Volk und nur für das Volk gemacht.« Auch die »gemäßigten« Vertreterinnen und Vertreter des nationalkonservativen Flügels wie Weidel und Beatrix von Storch sind völkisch und rassistisch. Weidel hetzt gegen Geflüchtete und Muslime, von Storch forderte den Schießbefehl gegen Geflüchtete an der Grenze und hetzt gegen Muslime und Juden.
Ist es richtig, der AfD das Rederecht zu verweigern?
Ja. Bei neofaschistischen Parteien und Organisationen wie der NPD haben Linke in der Vergangenheit zu Recht gefordert, sie nicht auf Podien oder in Talkshows einzuladen und ihre Auftritte und Reden durch massenhaften zivilen Ungehorsam, Versammlungen, Infostände und Blockaden zu verhindern. Im Unterschied zur NPD tritt die AfD noch nicht offen als faschistische Organisation auf. Wenn die AfD Veranstaltungen oder Parteitage durchführt, sollten diese trotzdem mindestens von breitem Protest begleitet werden. Aber es ist richtig, auch weiter zu gehen: Der Katholikentag hatte 2016 beschlossen, keine Vertreter der AfD auf Podien sprechen zu lassen. Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Thomas Sternberg, begründete den Schritt damit, dass sich die AfD »mit ihren Äußerungen (…) aus dem demokratischen Konsens verabschiedet« habe. Diese Entscheidung ist begrüßenswert. Denn aus der Geschichte zu lernen heißt: Wehret den Anfängen! Die damaligen Nazis haben sich über die Demokraten lustig gemacht, die ihnen aus falsch verstandener Toleranz Räume und Plätze überließen.
Noch einmal Goebbels, diesmal aus einer Rede von 1935: »Wenn unsere Gegner sagen: Ja, wir haben euch doch früher die […] Freiheit der Meinung zugebilligt – –, ja, ihr uns, das ist doch kein Beweis, dass wir das euch auch tun sollen! […] Dass ihr das uns gegeben habt, – das ist ja ein Beweis dafür, wie dumm ihr seid!« Können Nazis ungestört marschieren oder Veranstaltungen durchführen, verbreiten sie Angst und Schrecken, steigern ihr Selbstbewusstsein und können neue Mitstreiterinnen und Mitstreiter gewinnen – ihre Gegner und Opfer dagegen werden demoralisiert. Deswegen ist es wichtig, den Feinden jeglicher Demokratie keine demokratischen Rechte zu gewähren, weder Rederecht noch Versammlungsrecht.
Hilft es, die AfD vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen?
Nein. Der Staat wird den Aufstieg der Rechten nicht verhindern. Nicht erst seit dem Auffliegen der Naziterrorgruppe NSU ist klar, dass der Verfassungsschutz durch die V-Leute selbst rechte Strukturen finanziert. Die Sicherheitsbehörden verharmlosen systematisch rechte Gewalt und Rassismus im Alltag. Derzeit sind 372 Menschen, die per Haftbefehl wegen rechtsmotivierter Straftaten gesucht werden, auf freiem Fuß. Bei den Delikten gegen Geflüchtete und ihre Unterkünfte, vor allem Brandstiftung, zeigt sich die schlechte Aufklärungsquote besonders deutlich. Eine Recherche der Wochenzeitung »Die Zeit« ergab, dass bei 222 untersuchten Angriffen gegen Unterkünfte nur in vier Fällen ein Urteil gesprochen wurde.
Dahinter steckt kein Personalproblem. Denn die Staatsorgane sind wesentlich intensiver mit der Verfolgung von Antifaschistinnen und Antifaschisten beschäftigt als mit dem Kampf gegen Nazis. Als im Jahr 2011 in Dresden Tausende erfolgreich den bis dato größten Naziaufmarsch Europas blockierten, stürmte maskierte Polizei in Kampfmontur das Pressezentrum des Blockadebündnisses. Die Staatsanwaltschaft leitete an diesem Tag 351 Verfahren gegen Blockierende ein. Auch die Erfahrung der Weimarer Republik zeigt: Die Sozialdemokratie hat vor 1933 auf einen »staatsgläubigen« Antifaschismus gesetzt. Sie vertraute auf Justiz, Polizei und Armee zur Verhinderung der Nazidiktatur und ist damit gescheitert. All das zeigt: Der Staatsapparat ist kein verlässlicher Bündnispartner im Kampf gegen Nazis.
Ist es überhaupt möglich, die AfD und den Rassismus zurückzudrängen?
Ja. Der weitere Aufstieg der Neofaschisten kann durch Konfrontation verhindert werden: auf der Straße und in den Parlamenten. Hunderttausende Menschen sind geschockt über den Wahlsieg der AfD. Die Linke muss versuchen, dieses Potenzial auf die Straße zu mobilisieren, um ein weiteres Erstarken der rassistischen Rechten in Deutschland zu verhindern. Dafür sind breite und zugleich entschlossene Bündnisse nötig, unter Beteiligung von SPD, Grünen, Gewerkschaften sowie muslimischen, jüdischen und christlichen Verbänden und anderen gesellschaftspolitischen und kulturellen Gruppen. Es gibt zwei wichtige Voraussetzungen, um rassistische Kundgebungen und Aufmärsche erfolgreich zu verhindern: Erstens massenhafte Aufklärung über deren menschenfeindliche Ziele und zweitens breite Mobilisierungen und Blockaden. So konnten beispielsweise in Dresden noch in den Jahren 2010 bis 2013 die größten Naziaufmärsche Europas empfindlich geschwächt und schließlich sogar verhindert werden. Vergangene Versuche, rechts von der Union eine Partei mit Masseneinfluss aufzubauen, sind vor allem durch Massenmobilisierungen vereitelt worden. Dies gilt beispielsweise für die NPD, die Republikaner, die DVU, die Schill-Partei in Hamburg und die diversen, vor allem in Westdeutschland starken Pro-Parteien. Auch als Pegida 2015 versuchte, sich über Dresden hinaus auszubreiten, hat die antirassistische Gegenbewegung das verhindert. In München, Stuttgart, Leipzig und anderen Städten demonstrierten mehrfach Tausende gegen die entsprechenden Pegida-Ableger und blockierten deren Demonstrationswege.
Ist ein Bündnis gegen die AfD mit den Abschiebeparteien SPD und Grüne nicht heuchlerisch?
Nein. Erstens ist es möglich und nötig, in der Zusammenarbeit gegen die AfD trotzdem beispielsweise Abschiebungen zu kritisieren. Zweitens erfordert der Charakter faschistischer Parteien als Massenorganisationen eine entsprechende Gegenwehr in politischer Breite. Zum einen ist die Breite und Entschlossenheit einer antifaschistischen Bewegung eine Voraussetzung dafür, den harten Kern der AfD von seinem weichen Umfeld zu trennen. Breite bedeutet aber nicht Beliebigkeit. Es geht in erster Linie darum, die Organisationen der Arbeiterbewegung gemeinsam auf die Straße zu bekommen. Gegen ihr Grundprinzip der Solidarität und gegen ihre Organisationen und Errungenschaften richten sich faschistische Organisationen in erster Linie. Zum anderen ist die politische Breite eine Voraussetzung dafür, die nötige Masse auf die Straße zu bekommen. Kleingruppen reichen nicht. Auch hier hilft ein Blick in die Geschichte: Die Kommunistische Partei Deutschlands der späten 1920er und frühen 1930er Jahre weigerte sich, gemeinsam mit der SPD gegen die immer stärker werdenden Nazis zu kämpfen. Doch gerade das Ende der Weimarer Republik zeigt, wie notwendig ein gemeinsamer Kampf aller Antifaschisten schon gegen die aufkommende rechte Gefahr ist.
Aber bindet sich die LINKE im Bündnis mit SPD und Grünen nicht die Hände und verwässert ihre politischen Inhalte?
Nein. Im gemeinsamen Kampf gegen die AfD ist es wichtig, die Kritik am institutionellen Rassismus und an den etablierten Parteien zu formulieren. Denn Union, SPD und auch Teile der Grünen haben daran mitgewirkt, das Recht auf Asyl auszuhebeln. Damit tragen sie eine Mitverantwortung für die humanitäre Katastrophe an den EU-Außengrenzen und im Mittelmeer. Der AfD spielt diese Politik in die Hände, da sie dazu beiträgt, Geflüchtete sowie Migrantinnen und Migranten als Gefahr darzustellen. Richtig ist auch, dass der Rassismus der sogenannten Mitte den Aufstieg der AfD erst möglich gemacht hat. Es war Thilo Sarrazin (SPD), der den antimuslimischen Rassismus, mit dem nun die AfD punktet, salonfähig machte. Zudem muss DIE LINKE ein klare Oppositionspolitik betreiben und die Auseinandersetzung mit CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen führen, die mit ihrer Verschärfung der Asylpolitik, aber auch mit ihrem Neoliberalismus die Entsolidarisierung der Gesellschaft und die Verunsicherung von breiten Bevölkerungsschichten maßgeblich verstärkt haben. DIE LINKE kann zurzeit nicht verhindern, dass die AfD im Kleinbürgertum mit rassistischen Parolen Anhängerinnen und Anhänger gewinnt. Aber sie kann selbst in der Arbeiterklasse weiter Fuß fassen: Als antikapitalistische Protest- und Kampfpartei, die soziale Kämpfe, beispielsweise Mieter- und Umweltproteste, und Streiks – ob bei Amazon oder im Krankenhaus – befeuert und so den abgehängten Menschen Hoffnung auf Veränderung gibt. Erfahrbare Klassensolidarität ist eine wichtige, zentrale Voraussetzung, um ein weiteres Eindringen der AfD in die Arbeiterklasse zu verhindern. So kann DIE LINKE dazu beitragen, den weiteren Aufstieg der AfD zu stoppen und sie wieder gesellschaftlich zu isolieren. Die Kritik an der Politik etablierter Parteien sollte sie aber nicht daran hindern, punktuell und auch längerfristig in der drängenden Frage, den Faschismus zurückzudrängen, zusammenzuarbeiten. »Aufstehen gegen Rassismus« und andere ähnliche Bündnisse sind dafür geeignete Plattformen.
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»Konservative Revolution«: Die Wurzeln der Neofaschisten in der AfD
Schlagwörter: AfD, Alexander Gauland, Alternative für Deutschland, Antifaschismus, Bundestag, DIE LINKE, Faschisten, Frauke Petry, Inland