Internationalismus in neuem Licht: Die »Archivrevolution« bietet einen frischen Blick auf das Verhältnis zwischen Komintern und KPD. Von Sascha Alexander
Die Historiker Jakov Drabkin, Bernhard H. Bayerlein und der mittlerweile verstorbene Hermann Weber gaben 2015 den Band »Deutschland, Russland, Komintern – II. Dokumente (1918–1943)« heraus. Darin sind bereits veröffentlichte sowie neu erschlossene Dokumente zu den Beziehungen zwischen KPD, Komintern und Sowjetunion gesammelt. Dank der enormen Fleißarbeit der Herausgeber bietet er nicht nur neue Quellen für die Erforschung von Internationalismus, sondern zeichnet ebenfalls ein lebhaftes Bild der deutschen Revolution 1918-23 sowie vom Aufstieg und von der Festigung des Stalinismus.
Lebhaftes Bild der Komintern
Ein Beispiel? In einem Erlass machen Lenin und Trotzki 1917 klar, dass »der Kampf gegen Krieg und Imperialismus nur im internationalen Maßstab zum vollen Sieg führen kann«, weshalb es »erforderlich [ist], dem linken, internationalistischen Flügel der Arbeiterbewegung aller Länder mit allen notwendigen, darunter auch finanziellen, Mitteln zu Hilfe zu kommen«. Es folgt ein Brief des Revolutionärs und sowjetischen Botschafters in Deutschland, Adolf Joffe, an Lenin: Eine Art Lagebericht, wenige Wochen vor Beginn der Novemberrevolution. Das Militär sei unruhig und es komme immer wieder zu Streiks – in den Kohlebergwerken ist »beinahe ein Generalstreik« ausgebrochen. Doch weder die USPD (»Parlamentarier par excellence«), noch der Spartakusbund (»fürchten Verhaftungen«; es fehlt an »revolutionärer Erfahrung«) wisse damit umzugehen.
Nur Franz Mehring und Clara Zetkin werden lobend hervorgehoben: »obwohl [Zetkin] am schlechtesten von allen informiert ist, versteht sie alles besser als all die anderen, denen hier jeder Bissen zerkaut und in den Mund gelegt werden muss«. Im Oktober 1918 gibt Lenin Anweisungen zur »in Deutschland begonnene[n] Revolution« – die »deutschen Arbeitermassen« müssen unmittelbar unterstützt werden. Denn: »Die internationale Revolution ist innerhalb einer Woche so nahe gerückt, dass man mit ihr wie mit einem Ereignis der nächsten Tage rechnen muss«. In seiner Antwort schätzt Joffe die Situation weniger euphorisch ein: »Ohne Zweifel überschätzen Sie [d. h. Lenin] das Herannahen der deutschen Revolution«.
Eindrucksvoller Einblick
Doch schon im November toben die Kämpfe – der Kaiser sieht sich gezwungen abzudanken und der Weltkrieg findet endlich ein Ende. Die Revolution ist in Fahrt gekommen. Im von Rosa Luxemburg für den Spartakusbund verfassten und später als Programm der KPD angenommenen Aufruf heißt es: »Auf, Proletarier! Zum Kampf! Es gilt, eine Welt zu erobern und gegen eine Welt anzukämpfen«. Kurz darauf, im Januar 1919, berichtet Karl Radek: »Im gesamten Reich wächst die revolutionäre Arbeiterbewegung. […] Die Verschärfung der Lage wirkt sich zu unseren Gunsten aus«.
Doch macht er – ähnlich wie Joffe vor ihm – den fehlenden Organisationsgrad als tiefsitzendes Problem aus: »Leider befindet sich weder die Organisation noch die politische Führung der Kommunistischen Partei auf entsprechender Höhe ihrer Aufgabe«. Nach der Ermordung von Luxemburg und Karl Liebknecht wurde »der große Mangel an literarischen und politischen Führungskräften noch spürbarer«.
Die Dokumente geben einen eindrucksvollen Einblick in das Scheitern der Deutschen Revolution sowie insbesondere in die mittelfristigen Konsequenzen für die Linke – und lassen sich beispielsweise als Ergänzung zu Chris Harmans »Die verlorene Revolution« oder Duncan Hallas’ »The Comintern« lesen. Mit seinem sehr hohen Preis richtet sich der Band allerdings an ein vorwiegend akademisches Publikum. Daher ist es erfreulich, dass der Verlag De Gruyter ihn als kostenlose PDF auf seiner Website bereitstellt.
Das Buch:
Hermann Weber , Jakov Drabkin , Bernhard H. Bayerlein (Hrsg.)
Deutschland, Russland, Komintern – Dokumente (1918–1943): Nach der Archivrevolution: Neuerschlossene Quellen zu der Geschichte der KPD und den deutsch-russischen Beziehungen
1856 Seiten
De Gruyter Oldenbourg
2015
175,95 € für die gedruckte Ausgabe. Die digitale Ausgabe ist kostenfrei erhältlich.
Schlagwörter: Bücher, Buchrezension, Deutschland, Komintern, Kultur, Rezension, Russland