Ein Teil der rechten Bewegung wirbt bei den Wahlen zum Betriebsrat gezielt um Unterstützung in der Arbeiterklasse. Nazikader, Identitäre und der neofaschistische Flügel der AfD nutzen dabei Fehler der Gewerkschaften aus. Von Jan Maas
Wenn es nach Oliver Hilburger geht, ist Untertürkheim bald überall. Dort hat er bei den laufenden Betriebsratswahlen mit der Liste »Zentrum Automobil« 6 von 45 Sitzen im örtlichen Daimler-Werk erzielt – ein Gewinn von 2 Sitzen. Hilburger spielte bis 2008 Gitarre in der Naziband »Noie Werte«, mit deren Musik der »Nationalsozialistische Untergrund« (NSU) seinerzeit ein Bekennervideo unterlegt hatte. Als diese Verbindung 2011 ans Licht kam, warf ihn die Christliche Gewerkschaft Metall, für die er bis dahin im Betriebsrat gesessen hatte, raus.
Aktuell ist Hilburgers Liste Partner und Vorzeigebeispiel der rechten Kampagne »Werde Betriebsrat« anlässlich der bundesweit noch bis Mai stattfindenden Betriebsratswahlen. Für diese Kampagne prangert er in einem Video an, dass angeblich in den Betrieben verfolgt werde, wer Sympathien für AfD und Pegida zeige. Unter dem Slogan »Patrioten schützen Patrioten« wirbt er dafür, bundesweit die Möglichkeiten der Betriebsräte zu nutzen, um sich gegen diese angebliche Verfolgung zu wehren.
Für AfD und Pegida in den Betriebsrat
Diese politische Begründung ist neu. In der Vergangenheit hat sich Hilburger eher zurückgehalten, sogar in Worten von seiner Nazivergangenheit distanziert. Themen wie Kritik an Sozialpartnerschaft und die VW-Korruptionsaffäre standen im Vordergrund, um seine eigene Liste zu begründen. Die politische Zurückhaltung mag daran gelegen haben, dass die Belegschaft in Untertürkheim migrantisch geprägt ist. Hilburgers neues offenes Bekenntnis zu AfD und Pegida deutet darauf hin, dass er jetzt Rückenwind spürt.
Dennoch sichert sich »Werde Betriebsrat« mit einem Trick gegen mögliche Rassismusvorwürfe ab. Auf den Listen zu den Betriebsratswahlen stehen unter anderem auch türkische Namen. Lokale Aktive berichten, dass es sich dabei um Faschisten von den »Grauen Wölfen« handelt. Die Rechten sind über die Landesgrenzen hinweg vernetzt, gut organisiert und gehen planvoll vor. Das zeigt auch ein Blick auf den anderen Partner von »Werde Betriebsrat«.
Verbindung zur Identitären Bewegung
Dabei handelt es sich um die Kampagne »Ein Prozent für unser Land«, die aus den Reihen der Identitären Bewegung (IB) gestartet wurde. Die rechte IB stammt ursprünglich aus Frankreich und ist inzwischen auf Umwegen über Österreich auch in Deutschland angekommen. Die IB gehört zum Spektrum der Neuen Rechten, deren Ziel es ist, mit einem modernen Image die Isolation zu durchbrechen, in der sich faschistische Gruppen nach dem Zweiten Weltkrieg meistens befunden haben.
Die IB bedient sich zwar verdeckter faschistischer Symbole – so erinnert ihr Logo, der griechische Buchstabe Lambda, an den Winkel, das Abzeichen der Nazi-SA. Eingeweihte verstehen diese Symbole, zu denen auch das Wort »Patrioten« gehört. Doch verzichtet die IB darauf, sich zu offen faschistisch zu zeigen oder historisches Material zu benutzen, um sich als unbelastet und neu darzustellen. Oberflächlich betrachtet erscheint die IB daher im Design und in ihrer politischen Praxis modern.
Nazi-Kampagne »Werde Betriebsrat«
»Werde Betriebsrat« ist ein Beispiel dafür, dass sich derzeit ein Teil der rechten Bewegung in Deutschland mit einem sozialen Image um Unterstützung aus der Arbeiterklasse bemüht. So war Hilburger neben Phillip Stein, einem Leiter der Ein-Prozent-Kampagne, und Martin Sellner, einem Kopf der österreichischen IB, im November Gastredner auf der Konferenz des rechten Magazins »Compact« in Leipzig. »Compact« gibt seine Auflage mit 40.000 Exemplaren an.
Nach Hilburgers Rede verkündete der Thüringer AfD-Fraktionsvorsitzende Björn Höcke auf der »Compact«-Konferenz, mit der AfD an die Stelle der Linken treten und »die sozialen Errungenschaften von 150 Jahren Arbeiterbewegung gegen die zerstörerischen Kräfte des Raubtierkapitalismus verteidigen« zu wollen. Sein neofaschistischer »Flügel« hat innerhalb der AfD seit der Abspaltung der Nationalliberalen um den ersten Vorsitzenden Bernd Lucke 2015 Schritt für Schritt an Boden gewonnen.
Typisches Zeichen des Faschismus
Zwar gibt es weiterhin nationalkonservative Gruppen in der AfD, wie zum Beispiel um den Berliner Fraktionsvorsitzenden Georg Pazderski, die der Linie Höckes bisher nicht folgen. Jedoch hat sich innerhalb der AfD bereits die Gruppe AidA (Arbeitnehmer in der AfD) und am Rande der AfD der Vorfeldverein AVA (Alternative Vereinigung der Arbeitnehmerschaft) gebildet, die auf eine Verankerung der AfD in der Arbeiterklasse abzielen. Schatzmeister Horst Gilles sieht die AVA als das »soziale Gewissen der AfD«.
Die Orientierung auf die soziale Frage ist ein typisches Zeichen des Faschismus. Im Kern geht es dabei darum, eine Massenbewegung für reaktionäre Ziele zu schaffen. Da der bestehende Staat als Teil des bürgerlichen demokratischen Systems abgelehnt wird, streben faschistische Gruppen an, unabhängig davon handeln und Gewalt ausüben zu können. Eine Bewegung nationalkonservativer Eliten kann dieses Ziel alleine nicht erreichen; Faschismus strebt daher nach einer Massenbasis wie die SA der NSDAP.
Teile einer gemeinsamen Bewegung
Noch ist dieser Kurs in der AfD selbst umstritten, aber die verstreuten Neofaschistinnen und Neofaschisten in Deutschland sehen sowohl die Partei AfD als auch die Kampagne »Werde Betriebsrat« als Teile ihrer sich entwickelnden Bewegung an. Deutlich wird das in einem Gastbeitrag in dem neurechten Magazin »Sezession«, das von Höcke-Mentor Götz Kubitschek mitbetrieben wird. Autor Simon Kaupert ist Kampagnenleiter von »Ein Prozent« und Gründer von Wügida (Würzburger Pegida-Ableger).
Kaupert über die Kampagne »Werde Betriebsrat«: »Möglichen Zweiflern dieses Vorhabens verschafft eine Einordnung Klarheit: Unser Widerstandsmilieu verfügt mittlerweile über eine eigene NGO, eine klettererprobte Jugendbewegung, erfolgreichen Dauerprotest in Dresden und Umgebung, eine Partei mit nun schon 278 Mandaten auf Länder- und Bundesebene sowie eine Vielzahl von Publikationen. Fakt ist: Eine eigene Gewerkschaft war als Teil der zu schaffenden ›Mosaik-Rechten‹ schon längst überfällig.«
Widersprüche in den Gewerkschaften
Wie offen die Arbeiterklasse ihrerseits für rechte Ideen wie die der AfD und von »Ein Prozent« ist, ist nach der Bundestagswahl umstritten. Nachwahlbefragungen haben jedenfalls ergeben, dass Arbeiter überdurchschnittlich oft die AfD gewählt haben: Je nach Institut wohl um die 20 Prozent – gegenüber dem Endergebnis von 12,6 Prozent. Etwas anders sieht es bei den Gewerkschaftsmitgliedern aus: Laut DGB liegt der Anteil der AfD hier bei 15 Prozent, was immer noch überdurchschnittlich ist.
Im gewerkschaftlichen Alltag ist das Bild allerdings widersprüchlich. Sowohl die AfD als auch »Ein Prozent« haben versucht, Kundgebungen der von Schließung bedrohten Siemens-Belegschaften zu nutzen. Als Björn Höcke jedoch im November 2017 versuchte, sich in Erfurt in eine Demonstration einzureihen, wurde er recht bald vertrieben. DGB-Sekretär Sandro Witt, selbst ausgewiesener Antifaschist, bedankte sich danach ausdrücklich dafür bei den beteiligten Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern.
Nazis bilden ein Netzwerk
Vertrauensleute und Hauptamtliche der IG Metall von verschiedenen Standorten in Ost und West, die marx21 befragt hat, rechnen nicht damit, dass die Kampagne »Werde Betriebsrat« bundesweit umgesetzt oder gar ein Erfolg wird. Oliver Hilburger war schon als Betriebsrat verankert, bevor er »Zentrum Automobil« gründete und wieder gewählt wurde. Aus dem Stand eine Liste aufzustellen und Kollegen zu finden, die sich überzeugend als Alternative darstellen können, sei deutlich schwieriger.
In einzelnen Werken erzielen rechte Zellen bei den laufenden Betriebsratswahlen allerdings Erfolge. So hat das »Zentrum Automobil« jetzt am Daimler-Standort Rastatt 3 von 35 und in Sindelfingen 2 von 59 Sitzen im Betriebsrat erreicht. Bei BMW in Leipzig und Opel in Rüsselheim ist es dem »Zentrum Automobil« gelungen, mit neuen Betriebsgruppen über die Daimler-Grenzen hinaus zu expandieren. Die Gefahr der Kampagne liegt darin, dass sich so ein Netzwerk bildet, das zukünftig in der Lage ist, Menschen für eine faschistische Massenbewegung zu organisieren.
Betriebsrat gezielt attackiert
Wie erfolgreich die rechten Betriebsgruppen damit tatsächlich werden können, hängt maßgeblich von der Arbeit der Gewerkschaften in den Betrieben und von ihrem Verhältnis zur herrschenden Politik ab. Das »Zentrum Automobil« stellt sich im Vorfeld der Betriebsratswahlen als Opposition dar, die »den Druck auf das Tandem zwischen Unternehmen und etablierten Betriebsräten« erhöhen wolle. Dabei schlüpfen die Rechten taktisch geschickt in die Rolle der Kümmerer, berichten Vertrauensleute.
Das »Zentrum Automobil« greife etwa gezielt Betriebsräte an, die Stellvertreterpolitik betrieben, statt mit der Belegschaft zu reden, und organisiere diejenigen Abteilungen, in denen die Gewerkschaft schwach sei, etwa unter Leiharbeitern. Dort verteilten gut verankerte Kollegen dann Flugblätter mit Sätzen wie: »Unser Schwerpunkt liegt nicht im Büro oder in langgezogenen Ausschusssitzungen, sondern direkt im Werk und an den Arbeitsplätzen.« Sie docken an Probleme an, die auch die Gewerkschaftslinke kritisiert.
Politische Fehler der Gewerkschaften
Der ver.di-Aktivist Stefan Dietl beispielsweise kritisiert in seinem Buch »Die AfD und die soziale Frage« das verbreitete gewerkschaftliche Co-Management. Folge dessen sei, dass in kaum einem Land in Europa so wenig gestreikt werde wie in Deutschland. In den letzten zehn Jahren fielen pro 1000 Beschäftigten 15 Arbeitstage durch Streik aus. Nur in Österreich und Teilen Osteuropas seien die Zahlen niedriger. Zugleich schwäche die Sozialpartnerschaft inzwischen auch den Organisationsgrad.
Die politischen Fehler der Gewerkschaften tragen zu diesen Problemen bei, etwa ihre Mitarbeit an der Agenda 2010. Die gesetzliche Deregulierung, die den Boom der Leiharbeitsbranche erst ermöglichte, haben die Gewerkschaften mit auf den Weg gebracht. Gerade in den Betrieben der Automobilindustrie hat die Leiharbeit inzwischen einerseits zu Lohnabbau und andererseits zur tariflichen Spaltung der Belegschaften geführt – beides Wasser auf die Mühlen rechter Betriebsarbeit.
Vertrauensleute für mehr Konfliktbereitschaft
Vertrauensleute der IG Metall plädieren für mehr Konfliktbereitschaft: Der Schlüssel sei die Veränderung der Gewerkschaft. Als positives Beispiel gilt eine Auseinandersetzung im Sommer 2017. Daimler plante, eine Batteriefabrik in Untertürkheim als Ableger einer ostdeutschen Tochter zu gründen, die nicht der Tarifbindung unterliegt. Daraufhin sagte der Betriebsrat Überstunden ab, um im Rahmen der Friedenspflicht Druck zu machen. Mit dem Ergebnis, dass die Batteriefabrik dem Tarifvertrag unterliegen wird.
Um die rechte Offensive in den Betrieben zurückzudrängen, ist es zugleich jedoch nötig, den Rassismus von AfD und Pegida zu bekämpfen. So lange sich Teile der Arbeiterklasse gegen andere ausspielen lassen, wird es nicht möglich sein, sich gemeinsam gegen Leiharbeit zu wehren, geschweige denn den Sozialabbau in größerem Maßstab zu stoppen oder umzukehren. Vor dem Hintergrund erfolgreicher antirassistischer und sozialer Kämpfe hätten dann auch Nazikader wie Oliver Hilburger keine Chance mehr.
Termine:
17. März: Internationaler Aktionstag gegen Rassismus, dezentral
1. Mai: AfD-Demonstration in Erfurt verhindern
30. Juni: Protest gegen AfD-Parteitag in Augsburg
Infos: aufstehen-gegen-rassismus.de
Schlagwörter: Betriebsrat, DGB, Faschismus, Faschisten, IG Metall, Nazi, Nazis, Ver.di