Am 15. Mai gedenken Menschen weltweit der Nakba – der Vertreibung und ethnischen Säuberung von Palästinenser:innen aus ihrer Heimat durch zionistische Milizen. Die Nakba ist allerdings andauernde Realität, wie die Geschehnisse in Sheikh Jarrah zeigen. Von Nidal Thawri
Zu ihrem 73. Jahrestag ist die Nakba aktueller denn je. In Sheikh Jarrah, im besetzten Ost-Jerusalem, versuchen derzeit zionistische Siedler:innen, palästinensische Familien aus ihren Häusern zu vertreiben. Der israelische Besatzerstaat unterstützt sie dabei.
Dies ist ein weiterer Versuch des hoch militarisierten Apartheidstaates, Ost-Jerusalem zu »entpalästinisieren«. Die Familien bleiben standhaft und demonstrieren trotz heftigster Repressionen seitens israelischer Soldat:innen tagtäglich. Tausende Palästinenser:innen wehren sich gegen diese versuchte Vertreibung und ethnische Säuberung, die fortsetzt, was vor über 70 Jahren begann.
Nakba – die Vertreibung 1947/48
Die Nakba – die Katastrophe – bezeichnet die durch zionistische Milizen verübte Vertreibung von 700.000 Palästinenser:innen aus ihrer Heimat Palästina. Zionistische Milizen verübten Massaker, es kam zu Plünderungen und Vergewaltigungen.
Sie enteigneten palästinensische Besitztümer und räumten oder zerstörten hunderte Dörfer und mehrere Stadtteile. Die Ereignisse hinterließen eine entwurzelte, in ihren Grundfesten erschütterte palästinensische Gesellschaft.
Wie konnte es dazu kommen?
1917 gab die britische Regierung mit der »Balfour-Deklaration« ihre Unterstützung für die »Schaffung einer nationalen Heimstätte für die jüdische Bevölkerung in Palästina« bekannt. Dies war ein entscheidender Wendepunkt. Von da an wurden die Rechte der Palästinenser:innen systematisch ignoriert.
Sowohl die britische als auch die französische Kolonialherrschaft waren daran gewöhnt, Landkarten im Nahen Osten wie auch in Afrika ohne jegliche Zustimmung der indigenen Bevölkerung aufzuteilen. So auch im »Sykes-Picot-Abkommen« von 1916. Hier teilte man die Levante zwischen dem britischen und französischen Kolonialreich auf. Auch Palästina kam hierdurch unter die Herrschaft des britischen Kolonialreiches, nachdem das Osmanische Reich 1918 zerfiel.
Siedlungskolonialismus
In den 1920er Jahren waren die Folgen der zionistischen Einwanderung für die palästinensische Bevölkerung nicht mehr zu übersehen. Die jüdische Besiedlung Palästinas nahm die Form eines gewaltsamen Siedlungskolonialismus an.
1936 erhob sich im »Großen Arabischen Aufstand« die indigene palästinensische Bevölkerung gegen die britische Kolonialherrschaft sowie den zionistischen Siedlungskolonialismus. Die britische Kolonialmacht schlug den Aufstand brutal nieder.
Eine dicht besiedelte Region
Dem zionistischen Mythos nach ging es darum, »ein Land ohne Volk einem Volk ohne Land« zu übergeben. In Wirklichkeit war Palästina aber eine der am dichtesten besiedelten Regionen am gesamten Mittelmeer. Die palästinensischen Araber:innen lebten dort seit Jahrtausenden.
Um das Ziel der zionistischen Bewegung, einen ausschließlich jüdischen Staat in ganz Palästina aufzubauen, zu verwirklichen, vertrieb man die indigenen Palästinenser:innen aus dem Land.
Im Jahr 1947 beschlossen die Vereinten Nationen die Teilung Palästinas in einen arabischen und einen jüdischen Teil. Der Plan sprach 56 Prozent der Fläche dem zukünftigen Israel zu, obwohl Jüdinnen und Juden nur knapp ein Drittel der Bevölkerung ausmachten und nicht mehr als zehn Prozent des Landes bewohnten. Am 14. Mai 1948 rief David Ben Gurion den Staat Israel aus und verkündete dessen Unabhängigkeit.
Systematischer Terror
Dieser Sieg der zionistischen Kolonialbewegung war kein unerwarteter Triumph. Schon seit Jahren traf sich die zionistische Führung in »Transferkomitees«, um die ethnische Säuberung zu planen, die sie für einen jüdischen Staat auf größtenteils nicht jüdisch besiedeltem Gebiet durchführen wollte. Dafür baute sie Milizen auf, die schließlich mit systematischem Terror weite Teile der palästinensischen Bevölkerung gewalttätig vertrieben.
Auch Massaker an der Zivilbevölkerung halfen der zionistischen Bewegung, die palästinensischen Gemeinden zur Flucht zu zwingen. Das Dorf Deir Yassin gilt als Symbol dafür. In Israel werden die Ereignisse um 1948, die mit der Ausrufung des israelischen Staates verbunden waren, gefeiert. Den überwiegenden Teil der Palästinenser:innen haben diese Ereignisse dagegen zu einem Volk von Flüchtlingen gemacht.
Vertreibung ist Alltag
Die Geschehnisse vor und während 1948 im Zuge der Nakba sind aber nicht abgeschlossen – sie dauern an. Anfang Mai wurden demonstrierende Palästinenser:innen in Sheikh Jarrah seitens der israelischen Besatzungstruppen mit Gummi-Geschossen angegriffen, verhaftet und verprügelt.
Das ist der Alltag von Palästinenser:innen, die sich seit über 73 Jahren weigern, sich auslöschen zu lassen: Schikanen bis zur Erschießung an illegalen Checkpoints, Hausdurchsuchungen, willkürliche Verhaftungen, unendliche sogenannte Administrativhaft, Folter, Landraub, Zerstörung von Häusern oder illegale Blockade, Bombenangriffe und Freiheitsberaubung im größten Freiluftgefängnis der Welt namens Gaza.
Welche Lösung für einen Frieden gibt es?
Um der Spirale der Gewalt im Nahen Osten zu entkommen, ist es wichtig, zwischen Ursache und Wirkung zu unterscheiden. Solange die Vertreibung und Entrechtung der Palästinenser:innen anhält, wird es auch keinen Frieden geben.
Seit Jahrzehnten wird von der Uno eine Zweistaatenlösung propagiert. Auch die Fatah, andere palästinensische Organisationen und der Großteil der israelischen Friedensbewegung fordern weiterhin die Bildung eines arabischen Staates neben Israel auf palästinensischem Boden.
Kritik an der »Zweistaatenlösung«
Doch in der palästinensischen Linken mehren sich die Stimmen, die eine solche Lösung ablehnen. Ihr Argument: Die »Zweistaatenlösung« ist nicht lebensfähig. Der israelische Staat hat durch den illegalen Landraub und Siedlungsbau im Westjordanland die letzten Hoffnungen auf diese »Lösung« verunmöglicht.
Ein auf einen Bruchteil des ursprünglichen Territoriums gestutztes Rumpfpalästina wäre als Ministaat buchstäblich eingemauert und ökonomisch kaum überlebensfähig. Er würde zur politischen Geisel Israels aber auch der Regimes in den arabischen Nachbarstaaten werden.
Gleiche Rechte für alle
Daher fordert die PFLP (Popular Front for the Liberation of Palestine), aber auch linke aktivistische Gruppen wie das Samidoun Palestinian Prisoner Solidarity Network, das Ende des Apartheidsystems und eine Einstaatenlösung, vom Jordan bis zum Meer. Damit könnten geflüchtete Palästinenser:innen zurückkehren und in Würde mit gleichen Rechten gemeinsam leben.
Auch die Jewish Voice for Peace, die größte linke jüdische Bewegung für die Freiheit Palästinas, setzt sich für das in der UN Resolution 194 verankerte Rückkehrrecht von geflüchteten Palästinenser:innen ein. Die Jewish Voice for Peace lehnt entschieden den Zionismus als rassistisches Kolonialprojekt ab. Die Gruppe befürwortet eine antizionistische Position, die sich mit Palästinenser:innen solidarisiert und für gleiche Rechte aller Menschen eintritt, die zwischen Jordan und Mittelmeer leben.
Ethnische Teilung beseitigen
Eine wirkliche Lösung kann es nur dann geben, wenn das Ursprungsproblem beseitigt wird: die ethnische Teilung Palästinas. Dies ist nur möglich, wenn ein gemeinsamer, weltlicher und demokratischer Staat geschaffen wird, in dem muslimische, jüdische und christliche Menschen mit gleichen Rechten zusammenleben können. Dafür muss das Rückkehrrecht geflüchteter Palästinenser:innen verwirklicht werden.
In Deutschland wird Palästinasolidarität staatlich angegriffen, wie beispielsweise durch den Anti-BDS-Beschluss des Bundestages aus dem Jahr 2019. Gruppen, die es wagen, über Palästina zu diskutieren, werden Räume verwehrt und Gelder gestrichen. Aber auch in der Linke zeichnen sich sogenannte »Antideutsche« durch antipalästinensischen Rassismus und zionistische Hetze aus.
Solidarität mit Palästina
Für die Linke in Deutschland gilt es dagegen, solche Positionen entschieden abzulehnen. Solidarität mit Palästina darf nicht kriminalisiert werden. Nur wenn Antirassismus und Antiimperialismus konsequent internationalistisch gedacht werden, kann es weltweit zu nachhaltigen Veränderungen kommen.
Die Linke in Deutschland sollte ihren Platz an der Seite internationalistischer progressiver und sozialistischer Kräfte auf der ganzen Welt einnehmen. Solidarität sollte kein abstraktes Wort bleiben, sondern praktisch werden.
Kundgebungen zum Nakba-Tag am 15. Mai:
Berlin, 16 Uhr, Oranienplatz
Frankfurt/Main, 16 Uhr, Alte Hauptwache
Freiburg, 16 Uhr, Konzerthaus
Hamburg, 15 Uhr, Ottenser Hauptstraße
Kassel, 16 Uhr, Königsplatz
Köln, 16 Uhr, Heumarkt
Stuttgart, 16 Uhr, Marienplatz
Podiumsdiskussionen und Filmvorführungen:
Facebook-Event von Palästina spricht
Foto: Oren Ziv
Schlagwörter: Israel, Palästina, Vertreibung