Während Russland seine Invasion in der Ukraine fortsetzt, wird der Boden für eine Eskalation unter Führung der Nato in Form von Sanktionen und möglicherweise militärischen Maßnahmen bereitet. John Molyneux untersucht, wie das Establishment das Kriegsfieber anheizt, um die öffentliche Unterstützung von Menschen zu gewinnen, die normalerweise keinen Krieg wollen würden
Die meiste Zeit über wollen die meisten Menschen keinen Krieg. Warum sollten sie auch? Wenn unsere Machthaber:innen in den Krieg ziehen wollen, müssen sie daher versuchen, in der Öffentlichkeit eine Stimmung dafür zu erzeugen – ein Kriegsfieber. Mit einiger Übung haben sie dafür eine gut eingeführte Playlist.
Damit die Playlist funktionieren kann, ist die Zusammenarbeit mit den Massenmedien erforderlich, die jedoch fast immer gegeben ist; es gibt tief verwurzelte Verbindungen zwischen den mächtigen Kapitalist:innen, der Regierung und den staatlichen und konzerneigenen Medien. Dies ist vor allem in Irland der Fall, aber auch in allen anderen Ländern – den USA, Großbritannien, Frankreich, Russland usw. – ist dies der Fall – auch und gerade dort, wo sie behaupten, Demokratien zu sein.
Sagen was ist!
Der erste Schritt in diesem Spielzug besteht darin, die Situation oder Krise, die als Anlass oder Vorwand für einen Krieg dienen soll, in den Mittelpunkt zu rücken. Die Medien wirken wie ein Scheinwerfer, der ein helles Licht auf einen bestimmten Ort wirft, während der Rest der Welt in Dunkelheit gehüllt ist. So stehen heute die Ukraine und Russland im Mittelpunkt, nicht aber der Jemen oder Israel/Palästina oder andere Orte, an denen Krieg und Konflikte herrschen.
Natürlich gibt es die Rechtfertigung, dass es das ist, was gerade passiert, aber wirksame Propaganda funktioniert am besten, wenn sie ein bedeutendes Element der Wahrheit enthält, und die Kontrolle und Verengung des Fokus auf diese Weise soll das Verhaltensmuster unserer Herrscher und damit ihre wahren Motive vor jeder Überprüfung schützen.
Der eingeschränkte Blickwinkel »unserer Werte«
Wenn unsere Machthaber:innen die Kriegstrommeln schlagen, stellen sie sich immer so dar, als würden sie sich gegen Aggressionen wehren, die Demokratie verteidigen, für die Menschenrechte eintreten usw., aber diese Behauptung ist nur dann glaubwürdig, wenn wir nicht das größere Bild betrachten – das größere Bild in geopolitischer Hinsicht und das größere Bild in historischer Hinsicht. Es ist daher unerlässlich, die Diskussion auf die Ukraine zu beschränken und nicht einmal an den Krieg im Jemen, den Krieg gegen Afghanistan, den Krieg gegen den Irak, die Kriege gegen Palästina, den Krieg gegen Tschetschenien, die Kubakrise und zahllose andere Konflikte zu denken, bei denen die derzeitigen »Aggressionsverweigerer:innen« und »Verteidiger:innen der Demokratie« entweder keinen Finger krumm gemacht haben, um sich der Aggression zu widersetzen oder die Demokratie zu verteidigen, oder sich aktiv an der Aggression und der Zerschlagung der Demokratie beteiligt haben.
»Was sollen wir denn tun?«
Als Nächstes sagen sie, dass wir etwas tun müssen, und konfrontieren jeden, der sich ihrer Agenda widersetzt, mit der Frage: »Was sollen wir denn Ihrer Meinung nach tun? Der Schlüssel zu dieser Aussage und dieser Frage ist das Wörtchen »wir«, von dem sie hoffen, dass es unbemerkt bleibt, das aber in der Politik ein entscheidendes Wort ist. Wer sind »wir« in dieser Situation? Ist es ›der Westen‹? Aber ›der Westen‹ meint eigentlich die US-Regierung und die EU und ihre Verbündeten. Sind ›wir‹ das irische Volk? Aber ›sie‹, d.h. unsere Machthaber, fordern ›uns‹, d.h. die irischen Bürger, nicht wirklich auf, etwas zu tun. Was sie wirklich verlangen, ist, dass »wir«, das Volk, das gutheißen sollen, was »sie«, die Regierung, tun und tun wollen. Sie hoffen, dass ihre Interessen und Ziele mit den Interessen und Zielen des Volkes übereinstimmen, aber genau das ist nicht der Fall, weder in innenpolitischen Fragen – Steuerpolitik, öffentliche Ausgaben, Sparmaßnahmen usw. – oder in außenpolitischen Fragen. In Wirklichkeit sind ihre Interessen, die Interessen der Ein Prozent, unseren Interessen diametral entgegengesetzt. In diesem Fall wollen sie, dass wir Sanktionen und möglicherweise Militäraktionen mitmachen und den Krieg anheizen, während die Interessen der einfachen Menschen in Russland, der Ukraine und hierzulande auf Frieden und internationale Solidarität ausgerichtet sind. Das ist es, was sie mit dem Wörtchen »wir« zu verbergen hoffen.
Ein weiterer Schachzug, der aus der gleichen Playlist stammt, ist die Dämonisierung des Feindes und seiner Handlungen. Wie ich bereits sagte, enthält wirksame Propaganda ein Element der Wahrheit, und angesichts des Zustands der Welt ist der »Feind« in der Regel ziemlich böse und verhält sich ziemlich entsetzlich, aber das macht ihn nicht zum schlimmsten Tyrannen, den die Welt je gesehen hat. Putin ist zweifelsohne ein autoritärer Tyrann, aber ist er der schlimmste Tyrann der Neuzeit? Wohl kaum. Ist er ein schlimmerer Tyrann als der wohlbekannte Freund von Margaret Thatcher und den USA, General Pinochet in Chile? Ist er ein schlimmerer Diktator als der ägyptische General Al-Sisi, der derzeit 60.000 politische Gefangene festhält und mit dem alle »unsere« Regierungen und Unternehmen wie gewohnt Geschäfte machen und der in den Medien kaum Erwähnung findet?
Historische Vergleiche und Dämonisierung
Ich habe gesagt, dass unsere Machthaber den Fokus eng halten und nicht auf die Geschichte schauen wollen. Es gibt eine große Ausnahme, eine historische Analogie, zu der sie immer wieder greifen, wenn es darum geht, das Kriegsfieber zu schüren: den Vergleich mit Hitler. Leider bin ich alt genug, um mich daran zu erinnern, dass man mir erzählte, der ägyptische Oberst Nasser, der 1956 (zu Recht) den Suezkanal verstaatlicht hatte, sei der neue Hitler, den man aufhalten müsse – vermutlich, bevor er in Frankreich einmarschierte und London bombardierte! Damit sollte eine katastrophale französisch-britische Militärintervention zur »Rückgewinnung« des Kanals für den Imperialismus gerechtfertigt werden. Dann war da noch Oberst Gaddafi in Libyen, der abwechselnd ein neuer Hitler und dann Tony Blairs und des Westens Freund war, um dann wieder »unser« Feind zu sein, als Libyen durch die Nato-Intervention verwüstet wurde. Und so war es auch bei Saddam Hussein. Saddam war in der Tat ein brutaler Diktator, der Kuwait überfiel und das irakische Volk tyrannisierte, aber er war nicht Hitler. Er war nicht im Begriff, in Westeuropa einzumarschieren und Großbritannien zu überfallen oder zu bombardieren. Tatsächlich ist natürlich kein Führer aus dem Nahen Osten, wie tyrannisch er auch sein mag, jemals in Westeuropa einmarschiert, seit die Mauren im Jahr 711 n. Chr. einen Teil Spaniens besetzten. Genau um diese kleine Schwierigkeit zu überwinden, haben sich Bush und Blair die Lüge von den »Massenvernichtungswaffen« ausgedacht, die – wie Sie sich erinnern – London in 45 Minuten treffen könnten!
Die imperialistische Blöcke und ihre Einflusssphären
Von der Mitte des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts konzentrierte sich die britische Propaganda auf die Bedrohung durch Frankreich, die mit der Französischen Revolution und Napoleon ihren Höhepunkt erreichte. Im Zuge der »Verteidigung« gegen Frankreich gelang es Großbritannien, das größte Imperium der Welt zu errichten, das schließlich 35,5 Millionen Quadratkilometer umfasste – 26,4 Prozent der Erdoberfläche und siebenmal so groß wie das Römische Reich. Während des Kalten Krieges wurde uns immer wieder gesagt, dass die Sowjetunion von einem Einmarsch in Westeuropa abgehalten werden müsse, obwohl es dafür keine Beweise gab. Tatsächlich hatte Stalin auf der berühmten Konferenz von Jalta im Februar 1945 ausdrücklich zugestimmt, dass Westeuropa in der Einflusssphäre der USA und Großbritanniens liegen sollte, und er untermauerte dies, indem er den kommunistischen Parteien Italiens, Frankreichs und Griechenlands sagte, sie sollten nicht um die Macht kämpfen, obwohl sie dazu in der Lage waren, nachdem sie den Widerstand im Krieg angeführt hatten. Die »Bedrohung durch den Kommunismus« diente als Rechtfertigung für die Schaffung des größten militärischen Arsenals, das die Welt je gesehen hatte, mit der Macht, die gesamte Menschheit mehrfach zu vernichten, unzählige Stellvertreter- und regionale Kriege zu legitimieren, zu versuchen, zahlreiche Befreiungsbewegungen zu zerschlagen und die übelsten Diktatoren zu unterstützen, und das alles im Dienste eines informellen Wirtschaftsimperiums, das seinen riesigen Konzernen freie Hand ließ und sogar noch weiter reichte als das formale britische Empire.
Der Kommunismus als Feindbild
In Wirklichkeit wollte die Sowjetunion nicht Westeuropa erobern, sondern die Kontrolle über ihren eigenen imperialen Einflussbereich, ihr »nahes Ausland« wie Osteuropa und ihre südlichen und östlichen Flanken behalten. Was Osteuropa anbelangt, so haben die USA und die Nato dies hingenommen und nichts unternommen, um Ungarn 1956, die Tschechoslowakei 1968 oder Polen 1979 zu unterstützen. Erst als die Sowjetunion an ihren eigenen Widersprüchen zerbrach, haben sich die USA und die Nato um Länder wie Litauen, Lettland, Estland usw. gekümmert. Putin will etwas von dem zurückgewinnen, was Stalin hatte – er weiß, dass er es nicht mit China oder Südostasien aufnehmen kann. Er ist ein Imperialist, aber er ist nicht Hitler, und ihn mit Hitler zu vergleichen, ist nur schlechte Geschichtsschreibung im Dienste der Kriegshetze.
Eine verkürzte Analogie
Zu der Hitler-Analogie ist noch etwas anzumerken. Mehr oder weniger jeder hat von Hitler, dem Krieg und dem Holocaust gehört. Weit weniger ist darüber bekannt, wie er tatsächlich an die Macht in Deutschland kam. Es ist zum Beispiel wenig bekannt, dass sich Deutschland, als Hitler begann, sich zu organisieren, in einer sozialistischen und nicht in einer faschistischen Revolution befand. Die deutsche Revolution von 1918 bis 1923 beendete den Ersten Weltkrieg und stürzte den Kaiser. Wäre sie nicht von den Sozialdemokrat:innen verraten worden, die an der Ermordung der Revolutionsführer:innen Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht beteiligt waren, hätte es in Deutschland vielleicht einen Sozialismus gegeben, und Hitler wäre nie auf die Beine gekommen. In der allgemeinen Geschichtsschreibung wird auch nicht oft erwähnt, dass es im Vorfeld von Hitlers Machtübernahme 1933 in Deutschland eine Kraft gab, die ihn hätte aufhalten können. Das war die sehr mächtige und gut organisierte deutsche Arbeiter:innenbewegung. Sie wurde daran gehindert, weil es der deutschen Sozialdemokratie und Kommunist:innen nicht gelang, eine Einheitsfront gegen die Nazis zu bilden. Diese Tragödie öffnete Hitler die Tür, um die Macht ohne ernsthaften Widerstand zu übernehmen.
Der Putin-Hitler-Vergleich hinkt
Dieser Punkt ist heute sehr wichtig, denn die wichtigste Kraft, die Putin und die Invasion in der Ukraine stoppen kann, ist die Antikriegsbewegung in Russland. Ein Massenaufstand gegen den Krieg in Russland selbst ist zwar weder einfach noch garantiert, wird aber weitaus effektiver sein als Sanktionen oder Nato-Säbelrasseln. Die etablierten Politiker:innen und die Mainstream-Medien haben nie Vertrauen in die Fähigkeit von Massenbewegungen, Veränderungen herbeizuführen oder sich Tyrannen und ihren Kriegen zu widersetzen. Die Geschichte aber, einschließlich der russischen Geschichte (1917) und der irischen Geschichte, ist voll von Beispielen dafür. Die Antwort auf das ursprüngliche Argument »Wir müssen etwas tun« lautet also: Ja, wir müssen eine internationale Antikriegsbewegung aufbauen, die auf Solidarität und nicht auf westlicher Intervention beruht.
Was tun gegen das Kriegsfieber?
Der letzte Faktor, den wir bei der kriegstreiberischen Propaganda unserer Machthaber:innen berücksichtigen müssen, ist, dass genauso wie ihre Rhetorik über Demokratie und Selbstbestimmung nicht aufrichtig ist, sie auch ihre Kriegslust aufbauschen könnten, um »groß« zu erscheinen. Sie wissen, dass sie selbst dann, wenn sie nicht in den Krieg ziehen, von dem »Kriegsfieber« profitieren, das sie geschürt haben. Sie profitieren, wie sie es schon immer getan haben, von chauvinistischen Kriegstrommeln und davon, die Menschen der Arbeiter:innenklasse dazu zu bringen, ihre eigenen Anliegen und Kämpfe in einem Gefühl falscher Zusammengehörigkeit und Einigkeit mit ihren wirklichen Unterdrückern beiseite zu schieben.
Deshalb ist es die Aufgabe und Pflicht der Sozialist:innen, der Kriegspropaganda der herrschenden Klasse entgegenzutreten und sie als das zu entlarven, was sie ist: eigennützig, heuchlerisch und gefährlich.
Wir müssen eine internationale Antikriegsbewegung aufbauen, die auf Solidarität und nicht auf westlicher Intervention beruht.
Zuerst erschienen auf »Rebel« am 27. Februar 2022 von John Molyneux.
Übersetzt von Rene Paukolat.
Bild: Jeremy Bishop / Unsplash
Schlagwörter: Krieg, NATO, Russland, Ukraine