Mit der Kampagne »Wir fahren zusammen« kämpfen ver.di und Fridays for Future gemeinsam für Klimaschutz und bessere Arbeitsbedingungen im Nahverkehr. Wie das funktioniert, erklärt die WFZ-Aktivistin und marx21-Unterstützerin Martha im Interview
Martha, was ist »Wir fahren zusammen«?
»Wir fahren zusammen« ist eine Allianz der Klimabewegung rund um »Fridays for Future« mit den Beschäftigten im Nahverkehr und ihrer Gewerkschaft ver.di. Wir fordern bessere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten in den Verkehrsbetrieben und Investitionen in den ÖPNV. Um das durchzusetzen, wollen wir rund um die Tarifrunde im Nahverkehr (TV-N 2024) eine bundesweite Streikbewegung aus Beschäftigten und Aktivist:innen aufbauen.
Warum habt ihr euch entschieden, das Bündnis mit den Beschäftigten und ver.di aufzubauen? Das sind ja eher unübliche Bündnispartner in der Klimabewegung.
Die Beschäftigten im Nahverkehr sichern mit ihrer Arbeit die Mobilität von Millionen von Menschen. Gleichzeitig führen Überalterung und schlechte Arbeitsbedingungen aktuell zu einem dramatischen Personalmangel. Dadurch sind nicht nur die Fahrer:innen einer hohen Belastung ausgesetzt, sondern es werden auch in vielen Städten Buslinien eingestrichen. Wenn wir auch in Zukunft noch sicher und zuverlässig mit dem ÖPNV von A nach B fahren wollen, brauchen wir dafür gute Arbeitsbedingungen. Erst recht dann, wenn wir von einer Verdopplung des ÖPNV sprechen, wie es für eine Verkehrswende notwendig wäre.
Gleichzeitig steht hinter der Kampagne auch ein Strategievorschlag an die Klimabewegung – wir glauben, dass wir das Bündnis mit der Arbeiter:innenbewegung brauchen, um als Klimabewegung durchsetzungsfähig werden zu können.
Warum das?
Die Klimabewegung rund um Fridays for Future hatte ihren bisherigen Höhepunkt in den Jahren 2019 und 2020 mit hunderttausenden Demonstrierenden am selben Tag in ganz Deutschland…
… und wurde dann von Corona ausgebremst.
Ja, aber nicht nur das. Die Klimabewegung hat viel zu wenig erreicht und das 1,5 Grad-Ziel aus dem Pariser Klimaabkommen ist in weite Ferne gerückt. Wir haben dadurch als Aktivist:innen in den letzten Jahren die Erfahrung gemacht, dass der Appell an die Politik durch Großdemos nicht ausreicht, um unsere Forderungen durchzusetzen. Das hat bei vielen zu Hoffnungslosigkeit und Resignation geführt. Manche haben sich vom Aktivismus verabschiedet. Andere haben sich der Letzten Generation angeschlossen, um der Dringlichkeit der Klimakrise durch radikalere Aktionen Ausdruck zu verleihen.
Klingt ernüchternd.
Stimmt! Gleichzeitig gibt es auch viele Aktivist:innen, die aktuell nach neuen Wegen und Bündnissen suchen, um wieder handlungsfähig zu werden. Wir orientieren in »Wir fahren zusammen« auf das Bündnis mit den Beschäftigten, weil wir einerseits glauben, dass wir Klimaschutz nicht gegen den Willen einer breiten Mehrheit der Bevölkerung durchsetzen können. Und weil wir glauben, dass die Beschäftigten im Kapitalismus durch ihre gesellschaftliche Stellung über die Machtmittel verfügen, die notwendig sind, um Gesellschaft und Produktion zu verändern. Denn wir müssen uns bewusst sein, dass wir uns mit Forderungen nach radikalem Klimaschutz beispielsweise auch gegen die Interessen von fossilen Großkonzernen stellen.
Und wie genau versucht ihr in »Wir fahren zusammen« dieses Bündnis aufzubauen? Wahrscheinlich sind ja nicht alle Beschäftigten von der Idee begeistert, jetzt mit Fridays for Future gemeinsame Sache zu machen.
Ja, das stimmt. Wir haben das Ziel formuliert, in den nächsten Wochen in vielen Städten eine gemeinsame Streikbewegung auf die Beine zu stellen. Um dafür aber überhaupt erstmal die Voraussetzungen zu schaffen, sind wir seit über einem Jahr dabei, das Vertrauen der Beschäftigten zu gewinnen. Als Aktivist:innen werden wir in den Betrieben häufig erstmal mit großer Skepsis empfangen. Häufig setzen uns die Beschäftigten mit »den Klimaklebern« gleich und durch die mediale Hetze werden die von vielen Kolleg:innen gehasst. Wir merken auch eine große Unzufriedenheit der Beschäftigten mit der aktuellen Klimapolitik der Regierung.
Wie geht ihr damit um, wenn euch solche Vorbehalte begegnen?
Wir erklären erstmal, dass wir nicht zur Letzten Generation gehören, um überhaupt mit den Beschäftigten ins Gespräch kommen zu können. Und wir rennen nicht in eine Versammlung von Vertrauensleuten und erzählen als erstes, wie wichtig Klimaschutz ist. Stattdessen nehmen wir die Tarifrunde und die Arbeitsbedingungen im Betrieb als Ausgangspunkt für unsere Gespräche. Denn wenn man es gut argumentiert, ist es auch für viele Beschäftigte schnell total logisch: Um bessere Arbeitsbedingungen durchzusetzen, müssen wir Druck auf die Politik und die Arbeitgeberseite machen. Wir wollen dafür den gesellschaftlichen Rückhalt für die Streiks stärken, der gerade im ÖPNV natürlich nicht selbstverständlich ist. Jeder kennt es: Fährt am Streiktag keine Bahn oder kein Bus zur Uni oder Arbeit, ist man schnell genervt. Wir wollen deshalb das Verständnis dafür schärfen, dass die Streiks im Nahverkehr wichtig sind, auch um unsere Mobilität zu sichern.
Das heißt, ihr wollt in der Bevölkerung für Solidarität mit den Streiks werben?
Ja. Und gleichzeitig wollen wir unsere Mittel als Bewegung nutzen, um auch die Politik gezielt unter Druck setzen. Denn im ÖPNV ist es wie in vielen anderen Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge: Es ist eine politische Entscheidung, wie viel Geld dort investiert wird. Und die Politik rund um die Ampelregierung und Verkehrsminister Volker Wissing entscheidet sich gerade dafür zu sparen. An Infrastruktur, an Streckenausbau, aber eben auch an Personal und besseren Arbeitsbedingungen.
Wie genau wollt ihr das machen?
Wir haben im September 2023 beim globalen Klimastreik von FFF eine bundesweite Unterschriften-Petition gestartet. Mit der sprechen wir seitdem mit Schüler:innen, Studis oder auch einfach mit Fahrgästen in Bussen und Bahnen. Dabei erleben wir sehr positive Reaktionen. Viele Menschen merken ja, dass die Qualität des ÖPNV nachlässt. Sie unterstützen daher auch unsere Forderungen und befürworten die Streiks der Beschäftigten. Bisher haben etwa 70.000 Menschen diese Petition unterschrieben.
Aber wozu Unterschriften sammeln?
Gute Frage. Wir glauben natürlich nicht, dass diese Unterschriften alleine irgendwelche Verkehrspolitiker:innen unter Druck setzen. Wir nutzen die Petition vielmehr als Werkzeug. Denn einerseits bietet sie uns einen Gesprächsanlass, um Aktive zu gewinnen und unsere Bewegung aufzubauen. Ich habe beispielsweise Studis an der Uni sehr ehrlich gesagt, dass ihre Unterschrift allein nichts bringt, sondern dass sie aktiv werden müssen, wenn sie sich für eine Verkehrswende und gute Mobilität einsetzen wollen. Und das hat funktioniert. In ganz Deutschland zählen wir aktuell etwa 1.000 Aktivist:innen, die in über 60 Städten in #wfz aktiv sind. Teils sind das neue und teils ehemalige Aktive, die durch die Kampagne neue Hoffnung in den Klimaaktivismus geschöpft haben. Und andererseits wollen wir die Petition jetzt an den anstehenden Streik- und Aktionstagen an die bedeutenden Kommunal-, Landes- und Bundespolitiker:innen übergeben. Das schafft öffentliche Aufmerksamkeit und setzt die Kommunen und auch die Bundespolitik unter Druck zu handeln.
Aktuell gibt es ja große Proteste – allerdings nicht fürs Klima, sondern gegen die AfD. Fürchtet ihr, dass eure Kampagne dadurch in den Hintergrund rückt?
Ich glaube im Gegenteil, dass #wfz einen wichtigen Baustein im Kampf gegen die AfD darstellt. Denn einerseits sind große Proteste von Menschen wichtig, die bereit sind, sich den Rechtsradikalen in den Weg zu stellen. Und gleichzeitig müssen wir Möglichkeiten schaffen, gegen die Politik der Ampelregierung zu protestieren, die nicht bedeuten, die AfD zu unterstützen. Die baut ja große Teile ihres politischen Erfolgs auf einer Ablehnung der Ampel und den Abstiegserfahrungen, die Menschen mit der aktuellen Klimapolitik verbinden. Wir müssen dem Solidarität entgegensetzen. Und zwar nicht als leere Floskel. Sondern in Form einer realen Erfahrung, wie sich in einer gemeinsamen Auseinandersetzung soziale Verbesserung erkämpfen lassen.
Und könnt ihr dadurch aktuell wirklich Einfluss auf die Meinung in den Betrieben gewinnen?
Das funktioniert natürlich nicht von heute auf morgen. In den Verkehrsbetrieben gibt es viele Beschäftigte, die selbst die AfD wählen. Und gleichzeitig finde ich es immer wieder beeindruckend, wie schnell Beschäftigte bereit sind, tief geglaubte Vorbehalte gegenüber der Klimabewegung zu überwinden. Manchmal sagen uns Beschäftigte nach unseren Gesprächen, dass sie durch das Bündnis mit uns wieder neue Hoffnung geschöpft haben, dass sich an ihrer Situation etwas verändern kann. Beschäftigte, die uns an einem Tag mit einer Hassrede auf die Klimabewegung empfangen, sprechen am nächsten Tag vor Studierenden über die Notwendigkeit, gemeinsame Sache zu machen. Das stimmt mich hoffnungsvoll, dass es uns in den nächsten Wochen gelingen kann, durch gemeinsame Kampferfahrung und eine linke Kritik an der Ampel AfD-Wähler:innen eine Alternative aufzuzeigen.
Hat »Wir fahren zusammen« Pläne über die Tarifrunde Nahverkehr hinaus?
Fast alle Aktivist:innen und eine zunehmende Anzahl an Beschäftigten in der Kampagne haben eine Klarheit darüber, dass diese gemeinsame Tarifrunde nur ein Schritt ist, um eine Verkehrswende und Klimagerechtigkeit zu erkämpfen. Die nächsten Tarifrunden im Nahverkehr werden kommen und wir stellen uns auch die Frage, mit welchen weiteren Beschäftigtengruppen wir ähnliche Bündnisse aufbauen wollen. Hier sind wir aber noch in den Anfängen und diskutieren gerade die nächsten Schritte nach Ende der Kampagne. Mittelfristig muss unser strategisches Ziel sein, an die großen Machthebel unserer Gesellschaft zu kommen und das ist die Massenaktion auf der Straße und in den Betrieben. Und das müssen wir lernen. Die radikale Linke hat fast keine betriebliche Erfahrung. Das müssen wir schleunigst ändern, wobei uns auch bewusst sein muss, dass wir dafür einen langen Atem brauchen.
Also überspitzt formuliert: Jetzt einfach Tarifrunde nach Tarifrunde bis zur Klimarevolution?
Nein, ich glaube nicht, dass wir eine klimagerechte Produktion erreichen und das Überleben auf diesem Planeten sichern, indem wir einfach Reform für Reform und Tarifvertrag nach Tarifvertrag erkämpfen. Aber Tarifrunden wie im ÖPNV sind für uns ein großer Lernraum. Denn als Sozialist:innen sind wir überzeugt, dass der Kapitalismus alles tun wird, um die Reichtumsvermehrung aufrecht zu erhalten.
Schon heute werden die Kosten der Anpassung auf die Arbeiter:innenklasse abgewälzt und das wird sich in Zukunft sicherlich noch verschärfen. Die Frage ist dann, ob Arbeiter:innen gelernt haben, sich zu wehren. Ob sie ihre Machthebel selbstbewusst einzusetzen wissen, um die Produktion unter demokratische Kontrolle zu bringen und sie nach den Bedürfnissen von Mensch und Natur auszurichten.
Am Ende kann nur ein Sturz des Kapitalismus und demokratische Kontrolle über die Produktionsmittel die Menschheit vor der Klimakatastrophe retten. Alles was wir jetzt tun, bereitet uns nur auf diese in der Zukunft liegende Auseinandersetzung vor. Aktuell sehen wir in einigen gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen das Potenzial, dass Arbeiter.innen ihre Machtmittel im Kampf gegen die Inflation offensiv einsetzen.
Dabei machen Beschäftigte auch die Erfahrung, dass sie nicht nur mit der Arbeitgeberseite und der Politik kämpfen, sondern, dass sie auch ihre eigene Gewerkschaft neu aneignen und von einer passiven Vertretungsinstanz in eine lebendige, selbstbewusste und durchsetzungsfähige Bewegung verwandeln müssen. Wenn wir in diesen Bewegungen Räume schaffen, in denen Menschen positive Kampferfahrungen machen und sich gleichzeitig politisieren können, bedeutet das, entscheidende Erfahrungswerte für kommende Auseinandersetzungen aufzubauen.
Wie kann man jetzt bei »Wir fahren zusammen« mitmachen?
Der erste Streiktag im Nahverkehr liegt hinter uns – die nächsten werden folgen. Wie sehr es uns gelingt, die Öffentlichkeit hinter den Streiks zu versammeln und wie viel Druck wir gemeinsam auf die politischen Verantwortlichen machen können, hängt natürlich davon ab, wie viele Menschen sich unserer Kampagne jetzt anschließen. Die Streiktage sind dafür ein guter Anlass. Wer sich #wfz anschließen will, kann das in fast jeder größeren Stadt tun, indem ihr in unseren Telegramkanal kommt und euch von da in eure jeweilige Lokalgruppe weiter klickt. Alternativ haben wir auf unserer Homepage auch ein Kontaktformular, was ihr ausfüllen könnt, wenn ihr aktiv werden wollt.
Für den 1. März planen wir zudem einen bundesweiten Klimastreiktag. Hier wollen wir in größerer Breite Beschäftigte, Aktivist:innen und Menschen aus der ganzen Stadt mobilisieren, um in den Landeshauptstädten die Landespolitik und in Berlin die Bundespolitik zu konfrontieren. Spätestens da sehen wir uns hoffentlich alle auf der Straße!
Martha, wir danken dir für das Gespräch.
Die Fragen stellte Hans Krause
Foto: Santiago Rodriguez
Schlagwörter: Fridays for Future, Gewerkschaft, Klimaschutz, ÖPNV, Ver.di