Die Tortenattacke auf Sahra Wagenknecht hat Solidaritätsbekundungen ausgelöst, statt eine Diskussion über ihre Positionen in der Flüchtlingspolitik zu befördern. Doch die wäre dringend nötig, findet Volkhard Mosler
Als Frankfurter Delegierter habe ich die Tortenattacke auf Sahra Wagenknecht und ihre Wirkung auf dem Parteitag der LINKEN in Magdeburg mitverfolgen können. Nach der Attacke liefen mehrere Aktive der Gruppe »Antifaschismus kennt kein Parteibuch« durch die Halle und warfen Flugblätter mit der Überschrift »Torten für Menschenfeinde!« in die Reihen der Delegierten.
Konkret wird Sahra in dem Flugblatt vorgeworfen, sie habe gefordert, mit »Pegida zu reden«, kritisiert wird sie weiterhin wegen »ihrer auf Flüchtlinge gemünzten Aussage über Kapazitätsgrenzen und Grenzen der Aufnahmebereitschaft der Bevölkerung« und wegen »ihrer bundesweit bekannt gewordenen Rede zum Gastrecht.« (Sahra hatte nach den Übergriffen in der Silvesternacht in Köln gesagt: »Wer sein Gastrecht missbraucht, der hat sein Gastrecht eben auch verwirkt.«)
Debatte in der LINKEN
In dem Flugblatt versteigen sich die Autorinnen und Autoren zu der Aussage, Sahra Wagenknecht sei mit der AfD »vereint im Ziel« und Sahra habe der Aussage der Beatrix von Storch zum Schießbefehl »die ideologische Munition geliefert«. Im Flugblatt wird darüber hinaus die These von einem »nationalen Konsens zwischen AfD und Linkspartei« vertreten.
Damit wird aber nicht nur Sahras Position in der Flüchtlingsdebatte der LINKEN falsch interpretiert, indem nationale Borniertheit und Rassismus gleichgestellt werden. Es wird zugleich vollständig ignoriert, dass Sahra weder in der Fraktion noch im Parteivorstand eine Mehrheit mit ihrer Position zur Frage der »Kapazitätsgrenzen« hat.
Man kann den Initiatorinnen und Initiatoren der Tortenattacke unterstellen, dass es ihnen nicht darum ging, eine notwendige Debatte über eine linke Einwanderungspolitik zu befördern, sondern lediglich darum, sich und ihre Kreise als einzig wahre Antifaschisten auszugeben. Fragt sich nur, mit welchen gesellschaftlichen Kräften die Gruppe die durchaus vorhandene Gefahr einer neuen faschistischen Bewegung in Deutschland bekämpfen will, wenn sie alle, die nicht für offene Grenzen sind, als Rassisten und Faschisten bekämpft.
Bündnis gegen die AfD
Es gab Solidaritätsbekundungen mit Sahra Wagenknecht von allen Seiten des Parteitags und scharfe Verurteilungen der Attacke – mit dem Hinweis darauf, dass Sahra immer geschlossen mit der Bundestagsfraktion gegen jede Asylrechtsverschärfung gestimmt habe. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Sahras Positionen zur Einwanderungspolitik fand nicht mehr statt.
Sahras Abschlussrede war sehr stark in der Anklage der wachsenden sozialen Ungleichheit und der Heuchelei der Herrschenden. Die LINKE müsse wieder zur Protestpartei werden, müsse mit einem klaren antikapitalistischen und antimilitaristischen Profil ihre Eigenständigkeit schärfen und sich gegen rot-rot-grünes Lagerdenken stellen.
Sahra wünschte sich auch ein linkes Lager, aber »wir können uns die SPD nicht backen« und so erteilte sie Gregors Gysis Vorschlag eine klare Absage, einen gemeinsamen Kanzlerkandidaten mit der SPD vorzuschlagen. Sie unterstützte ein breites, parteiübergreifendes Bündnis gegen die AfD auf der Straße, indem sie sich mit anderen hinter dem Banner des Bündnisses »Aufstehen gegen Rassismus« auf der Bühne versammelte.
Blind gegenüber der Gefahr
Allerdings leitete Sahra Wagenknecht die Notwendigkeit für ein breites antirassistisches Bündnis nicht aus einer Analyse der Entstehungsursachen von Rassismus ab. Sie sieht die AfD als rechteste in einem Block neoliberaler Parteien. Sie sieht nicht die besondere neofaschistische Gefahr, die vom rechten Flügel der AfD ausgeht.
Auch in ihrer jetzigen Zusammensetzung ist die AfD zur Speerspitze des Rassismus geworden. Ihre Wahlerfolge ermuntern Brandstifter gegen Flüchtlingsunterkünfte und Moscheen.
Anders als Bernd Riexinger und Katja Kipping erwähnte Sahra Horst Seehofer nicht einmal als Stichwortgeber der AfD-Angstmache vor Flüchtlingen, dafür drosch sie umso entschlossener auf Angela Merkel und Andrea Nahles als die eigentlichen Verursacher der rassistischen Welle in Deutschland ein. Sie geißelte – ganz richtig – den Widerspruch zwischen dem freundlichen Gesicht Merkels gegenüber Flüchtlingen und den anhaltenden Waffenlieferungen und Kriegsbeteiligungen Deutschlands als Heuchelei.
Keine Lösung für Geflüchtete
Sahra Wagenknecht geißelte ebenso richtig auch imperialistische Wirtschaftspolitik, die für Hunger und Elend in großen Teilen Afrikas und Asiens verantwortlich sei. Sie forderte, die Fluchtursachen zu bekämpfen.
Aber Sahra verlor kein einziges Wort darüber, was mit den vor Hunger und Krieg flüchtenden Menschen geschehen soll, bis die Fluchtursachen einmal erfolgreich abgestellt sind. So erhält auch ihre harte Kritik an Merkels »schmutzigem Deal« mit Erdogan über den Verbleib der syrischen Flüchtlinge in der Türkei einen schalen Beigeschmack. Merkel gibt wenigstens vor, den Flüchtlingen helfen zu wollen, bei Wagenknecht tauchen sie nur als von Fluchtursachen zu befreiende Menschen auf, die nicht mehr zu fliehen brauchen.
Die Logik ihrer Linie, die sie nur andeutet, aber nicht mehr ausformuliert, läuft darauf hinaus: Solange es in Deutschland keinen genügend großen sozialen Wohnungsbau und keine Vollbeschäftigung gibt, lassen wir möglichst wenige rein, weil das nur dem Lohndumping den Weg ebnet und damit dem Kapital nützt und weil so dem Rassismus der Boden bereitet wird. Das ist nicht rassistisch – wie die sich linksradikal dünkenden Tortenwerfer behaupten – aber es ist national-borniert sozialdemokratisch und nicht internationalistisch-sozialistisch. Die von ihr behaupteten Kapazitätsgrenzen sind die Grenzen kapitalistischer Verhältnisse, nicht die tatsächlich vorhandener Reichtümer.
Widerstand gegen Rassismus geschwächt
Sahra Wagenknecht ist keine Rassistin. Von Rassismus sprechen wir, wenn es um die Zuschreibung von quasi unveränderlichen und minderwertigen Charaktereigenschaften einer Gruppe von Menschen gemeinsamer Herkunft (Sprache, Hautfarbe, Religion oder Ethnie) im Namen einer angeblich überlegenen Mehrheit (Weiße, Arier, Bio-Europäer usw.) geht.
Aber mit ihrer national-bornierten Position schwächt Sahra Wagenknecht den Widerstand gegen den Rassismus und mit ihrem mechanisch-ökonomistischen Erklärungsansatz für Rassismus stellt sie einen Begründungszusammenhang her, der den Kampf gegen die angeblichen Ursachen des Rassismus zur Hauptsache und den Kampf gegen den Rassismus als untergeordnete Nebensache erscheinen lässt.
Doch die Wurzel des Rassismus liegt eben nicht in der sozialen Verelendung, sondern in den seit Jahrzehnten grassierenden rassistischen Spaltungsideologien der Herrschenden aus der »Mitte« der Gesellschaft. Soziale Verelendung kann auch den Boden für den Sozialismus bereiten. Rassistische Hetze gegen Flüchtlinge (Stichwort »Asylantenflut«) und Muslime waren lange gesellschaftsfähig, bevor es die AfD gab. Björn Höcke, Sprecher des neofaschistischen »Flügels« der AfD, bedankte sich vor kurzem nicht etwa bei Andrea Nahles oder Merkel, sondern bei Thilo Sarrazin, ohne dessen ideologische Vorarbeit weder Pegida noch die AfD dort stünden, »wo sie heute steht». Allerdings hat Höcke vergessen, sich bei der »Lügenpresse« zu bedanken, denn ohne Bild und Spiegel hätte es Sarrazin mit seinem Buch »Deutschland schafft sich ab« wohl kaum auf eine Auflage von über 1,5 Millionen gebracht.
Zwei Fronten eines Klassenkampfes
Wenn Sahras Wagenknechts Analyse stimmte, dass soziale Verelendung die Wurzel des Rassismus ist, dann dürfte es auch die LINKE nicht geben, deren Quellpartei WASG 2004 aus den Protesten gegen die Agenda 2010 der rot-grünen Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder hervorgegangen ist. Und dann müsste in Griechenland längst eine faschistische Regierung herrschen, weil dort neoliberale Politik die größten sozialen Verwüstungen hinterlässt. In Österreich müsste die Sozialdemokratie von Sieg zu Sieg eilen, weil dort die sozialen Sicherheitssysteme noch einigermaßen intakt sind.
Krisen, soziale Verelendung und Kriege sind Produkte des Kapitalismus. Sozialismus oder Barbarei sind die Möglichkeiten. Gerade weil die Krise des Kapitalismus beiden Möglichkeiten den Boden bereitet, bedarf es nicht nur sozialer Kämpfe gegen Ausbeutung, sondern ebenso politischer Kämpfe gegen Rassismus und alle anderen Formen der Unterdrückung. Soziale Kämpfe gegen Ausbeutung und politische Kämpfe gegen »Knechtschaft in allen ihren schmutzigen Formen« (Marx) sind zwei Fronten eines Klassenkampfes. Soziale Kämpfe wie jetzt in Frankreich können Kämpfe gegen Rassismus und Faschismus befördern, überflüssig machen sie diese keineswegs.
Foto: dielinke_nrw
Schlagwörter: AfD, Antirassismus, DIE LINKE, Linkspartei, Rassismus, Sahra Wagenknecht