Nicht der Zuzug von Flüchtlingen, sondern die neoliberale Wohnungspolitik ist verantwortlich für den Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Höchste Zeit für eine neue Mieterbewegung, meint Max Manzey
Die Stimmung bei der deutschen Bauindustrie ist gut. Jeden Tag flattern viele neue Aufträge ins Haus. Insbesondere Anbieter von Modul- und Systembauten können sich in diesen Tagen die Hände reiben: Schnell sollen einfache Wohnungen für Geflüchtete geschaffen werden. Durch die hohe Nachfrage können die Unternehmen inzwischen »Mondpreise« (DIE ZEIT) mit teilweise zwanzig Prozent Preisaufschlägen verlangen. Die Bundesregierung verdoppelte im Zuge der Asylrechtsverschärfung die Gelder an die Länder für neue Sozialwohnungen von 500 Millionen auf eine Milliarde Euro. Damit reagierte sie auf die Herausforderung Wohnraum für Geflüchtete zu schaffen. Doch diese Maßnahme ist lediglich ein Tropfen auf den heißen Stein.
In vielen Städten ist Wohnungsnot für Geringverdiener schon seit Jahren ein akutes Problem und daran sind nicht die Geflüchteten schuld. Die neoliberale Wohnungspolitik der letzten zwanzig Jahre hat zu einer Explosion der Mietpreise in den Großstädten und zur Erosion der sozialen Wohnraumversorgung geführt. Die Annahme, die »unsichtbare Hand« des Marktes würde angesichts der steigenden Nachfrage nach Wohnungen in den Innenstädten mittelfristig das entsprechende Angebot schaffen, erweist sich wieder einmal als Hirngespinst. Vielmehr schafft die »unsichtbare Hand« wie immer nur das, was die größten Profite ermöglicht und das sind nicht günstige Sozialwohnungen für Geringverdiener, Arbeitslose, Rentner oder Geflüchtete, sondern teure Wohnungen in guter Lage und Luxussanierungen von Altbauten.
Mietsteigerungen von bis zu einhundert Prozent
Ein gutes Beispiel für diese Entwicklung ist Berlin. In der Hauptstadt sind die Angebotsmieten seit 2009 um über dreißig Prozent gestiegen. In manchen innerstädtischen Lagen, wie um den Görlitzer Park in Kreuzberg, sogar noch deutlich mehr: Hier gibt es Mietsteigerungen von bis zu einhundert Prozent und damit einen kontinuierlichen Austausch der Bevölkerung. Zudem geschieht dies in einer Stadt in der 85 Prozent der Bevölkerung zur Miete wohnen und 260.000 Haushalte unter der Armutsgrenze leben. Aktuelle Studien gehen davon aus, dass schon vor dem Zuzug der Geflüchteten in diesem Sommer über 120.000 günstige Wohnungen fehlten. Die 30.000 Flüchtlinge, die aktuell in den Sammelunterkünften leben und zeitnah eine Wohnung suchen, treffen also auf eine Situation in der Geringverdiener schon vorher kaum eine Chance auf eine bezahlbare Wohnung hatten. Schuld daran ist eine Wohnungspolitik, die in den vergangenen Jahren alles daran gesetzt hat, Berlin gut in der globalen Städtekonkurrenz zu positionieren – auf Kosten der Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner und zur Freude der Immobilieninvestoren.
Bis vor wenigen Jahren war die deutsche Hauptstadt noch für ihre im Vergleich zu anderen Großstädten verhältnismäßig geringen Mieten bekannt. Die Altbaugebiete in der Innenstadt boten ein großes Angebot an günstigen Wohnungen für Menschen mit geringen Einkommen. Doch seit der Wende erlebten diese Bezirke einen grundlegenden Wandel: Angekurbelt durch Sanierungsprogramme des Senats wurde aus dem Prenzlauer Berg ein Reichenviertel. Die Gentrifizierungs-Welle zog weiter durch Friedrichshain, Kreuzberg und Neukölln. Durch energetische Sanierungen, bei denen Teile der Kosten dauerhaft auf die Mieter umgelegt werden können sowie durch Luxusneubau werden diese Viertel umgekrempelt und die ärmere Bevölkerung an den Stadtrand gedrängt.
Wohnungspolitik mit katastrophalen Folgen
Der Berliner Senat reagierte auf diese Entwicklung lange Zeit überhaupt nicht oder begrüßte sie sogar, da hierdurch »soziale Brennpunkte« aufgewertet und die soziale Mischung hergestellt werden würde. Dass »aufwerten« und »mischen« hier synonym für »verdrängen« stehen, wurde lange Zeit trotz Mieterprotesten hingenommen und gefördert. Hinzu kommt, dass die öffentliche Wohnungsversorgung in den letzten Jahren kontinuierlich zusammengekürzt wurde. Jahr für Jahr fallen aktuell vier- bis fünftausend Sozialwohnungen aus der Mietpreisbindung und können dann von privaten Eigentümern für zehn bis fünfzehn Euro pro Quadratmeter neu vermietet werden – Preise, die sich kein Sozialmieter leisten kann. Auch die Mieten der noch bestehenden Sozialwohnungen liegen aufgrund der in den 1970er bis 90er Jahren abgeschlossenen Verträge inzwischen häufig bereits über dem Mietpreisspiegel. Mieterinitiativen wie Kotti & Co weisen schon seit Jahren auf diesen Missstand hin.
Hinzu kommt eine massive Privatisierung von kommunalen Wohnungen in den letzten Jahrzehnten. Während die kommunalen Wohnungsunternehmen in Berlin Anfang der 90er Jahre noch rund 500.000 Wohnungen besaßen, sind es heute nur noch etwa 300.000. Auch wenn der Senat nun anstrebt den Wohnungsbestand wieder zu erweitern, muss genau überprüft werden, was für Wohnungen die städtischen Unternehmen anbieten und ob sie tatsächlich den Auftrag wahrnehmen ausreichend Wohnraum für Geringverdiener zur Verfügung zu stellen. Dass die kommunalen Unternehmen oftmals ähnlich agieren, wie private Akteure, wird nicht zuletzt an der Tatsache deutlich, dass ein großer Anteil der jährlichen Zwangsräumungen durch die staatlichen Unternehmen durchgeführt wird.
Der kontinuierliche Verlust von Sozialwohnungen geht weiter
Einen Teilerfolg konnte zuletzt der Mietenvolksentscheid erzielen. Mit über 50.000 gesammelten Unterschriften konnte der Senat dazu gezwungen werden noch in diesem Jahr ein Wohnraumgesetz zu verabschieden, das unter anderem eine Subventionierung der Sozialmieter und die Schaffung eines Wohnraumförderfonds für den Neubau von Sozialwohnungen vorsieht. Auch die Ausrichtung der kommunalen Wohnungsunternehmen konnte beeinflusst werden. So müssen sie in Zukunft 55 Prozent, anstatt wie bisher nur 45 Prozent der Neuvermietungen an Mieter mit einem Wohnungsberechtigungsschein vergeben. Auch der Anteil von Wohnungen für Obdachlose und Geflüchtete wurde erhöht. Dennoch reicht die Reform bei weitem nicht aus, um das Problem zu lösen. Die Verdrängung der Sozialmieter und der kontinuierliche Verlust von Sozialwohnungen wird nicht gestoppt und die Ausstattung des Wohnraumfonds wird der Herausforderung nicht einmal im Ansatz gerecht. Vor allem aber bietet das Gesetz keine Lösung für die Probleme auf dem privaten Wohnungsmarkt.
Für die Geflüchteten sollen nun schnell Wohnungen in Leichtbauweise geschaffen werden. Wo und wie ist noch völlig unklar. Auch hier zeigt sich das Problem: Weil die soziale Wohnraumversorgung in Berlin über Jahre geschliffen wurde, müssen nun im Schnellverfahren Wohnungen mit geringer Qualität und Lebenszeit auf der grünen Wiese gebaut werden. Eine gute Unterbringung für die von Krieg, Verfolgung oder bitterer Armut vertriebenen Menschen sieht anders aus.
Rechte Brandstifter instrumentalisieren soziale Ängste
In vielen anderen deutschen Städten sieht es nicht anders aus als in Berlin: Die Kommunen und Länder sind pleite, die Schuldenbremse baut zusätzlichen Druck auf und die Zuschüsse des Bundes sind viel zu knapp, um ausreichend Sozialwohnungen zu bauen. Die Welle der Privatisierungen zog in den letzten Jahren durch viele Kommunen. Ein Beispiel dafür ist auch die Pegida-Hochburg Dresden. Im Jahr 2006 verkaufte die Stadt ihren gesamten Bestand von 48.000 Wohnungen an einen privaten Investor.
Die sozialen Ängste, die auch von der Situation auf dem Wohnungsmarkt ausgehen, werden von rechten Brandstiftern wie Seehofer, der AfD oder Pegida genutzt, um Deutsche gegen Geflüchtete aufzuhetzen. Anstatt auf die unsoziale Wohnungspolitik der letzten Jahrzehnte zu verweisen, wird mit dem Finger auf die Geflüchteten gezeigt. Diese Argumentation ist brandgefährlich. Die Linke hat die Aufgabe diesen Rassisten entgegenzutreten und ihrem Hass eine linke Antwort auf die sozialen Probleme zu geben.
Leerstehende Wohnungen müssen beschlagnahmt werden
Anstatt immer weitere Asylrechtsverschärfungen durchzuführen und damit Wasser auf die Mühlen der rechten Brandstifter zu geben, müsste der Staat eine soziale Wohnraumversorgung aufbauen, um so bezahlbaren Wohnraum für alle zur Verfügung zu stellen. Die kommunalen Wohnungsunternehmen müssten mit deutlich mehr Mitteln ausgestattet werden, um neue Sozialwohnungen zu bauen und Wohnungen anzukaufen. Der Privatisierungswelle der letzten Jahrzehnte müsste jetzt eine Welle der Rekommunalisierung folgen, um möglichst viele Wohnungen aus dem profitorientierten Wohnungsmarkt herauszulösen und unter kommunale Kontrolle zu stellen. Durch eine Änderung des Mietrechts, etwa hinsichtlich des Mietspiegels und der energetischen Sanierung, könnte der Verlust an günstigen Altbauwohnungen aufgehalten oder wenigstens gebremst werden.
Da die Geflüchteten nicht auf langwierige Neubauprogramme warten können, braucht es aber eine schnellere Lösung. In vielen Städten gibt es trotz angespannten Wohnungsmarkt einen spekulativen Leerstand an Wohnungen und Bürogebäuden. Der Staat könnte diese Wohnungen beschlagnahmen und für die Geflüchteten zur Verfügung stellen. Darüber könnte auch eine dezentrale Unterbringung gewährleistet werden. Diese Maßnahmen wären ein radikaler Bruch mit der neoliberalen Stadt- und Wohnungspolitik und würden zu einer Konfrontation sowohl mit den privaten Immobilienspekulanten, die sich in den letzten Jahren eine goldene Nase verdient haben, als auch mit ihren politischen Vertretern in den Parlamenten führen. All dies müsste mit einer Umverteilung von Reichtum von oben nach unten einhergehen. Das würde die Politik der »Schwarzen Null« mitsamt der Schuldenbremse in Frage stellen. Dafür bedarf es einer starken Bewegung. Die vielen Flüchtlingshelferinnen und -helfer, die zahlreichen Mieterinitiativen und natürlich die Geflüchteten selbst, die es in den letzten Monaten geschafft haben Grenzen einzureißen, könnten jetzt der Ausgangspunkt einer solchen Bewegung werden.
Foto: Bildbunt
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