Wolf Biermanns Hass-Rede gegen DIE LINKE im Bundestag war nicht nur traurig, weil sie unbegründet war. Sondern auch, weil Biermann früher selbst Sozialist war. Von Rosemarie Nünning, LINKE Berlin-Kreuzberg.
Wolf Biermann missbrauchte seinen Auftritt am 9. November im Bundestag, um DIE LINKE zu beschimpfen und der Regierung zu schmeicheln.
Das hat eine tragische Note angesichts der Geschichte Biermanns. Sein Vater war Werftarbeiter und wurde als Jude im Konzentrationslager ermordet, seine Mutter war Kommunistin. In der Konfrontation kapitalistischer Westen mit seiner Nazivergangenheit gegen den scheinbar sozialistischen Osten entschied er sich als Jugendlicher, kurz vor dem Arbeiteraufstand im Juni 1953, von der BRD in die DDR zu ziehen. Schon Anfang der 60er Jahre geriet er in Konflikt mit dem Regime und wurde zu einem seiner bekanntesten Kritiker „von einem linken Standpunkt aus“. Er blieb aber auch einer des Westens. Deshalb sang er:
„Die ganze Welt hat sich / In Ost und West gespalten / Doch Deutschland hat – wie immer auch – / Die Position gehalten / Die Position als Arsch der Welt / Sehr fett und sehr gewichtig / Die Haare in der Kerbe sind / Aus Stacheldraht, versteht sich.“
In „Deutschland ein Wintermärchen“ beklagte er die auf der Flucht über die Mauer Erschossenen: „Manch einer warf sein junges Fleisch / In Drahtverhau und Minenfeld / Durchlöchert läuft der Eimer aus / Wenn die MP von hinten bellt.“
Beeinflusst von Brecht und Eissler
Die Staatszeitung Neues Deutschland schreibt schon 1965 über ihn: „Herr Biermann weigert sich [..], den schönen und hohen gesellschaftlichen Auftrag des Schriftstellers in unserer Republik zu erfüllen.“ Er stehe auf den „tönernen Füßen des Skeptizismus“: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46275350.html.
Künstlerisch war Biermann von Bertolt Brecht und Hanns Eisler beeinflusst, politisch stand er insbesondere Robert Havemann nahe. Dieser forderte 1965 die Abrechnung nicht nur mit Stalin und den schlimmsten Auswüchsen des Stalinismus, den Arbeitslagern und Morden, sondern mit der Struktur des Partei- und Staatsapparats. „Sozialismus mit weniger demokratischen Rechten und Freiheiten, als sie bereits der bürgerliche Staat verwirklicht hat, ist ein Zerrbild“, erklärte er: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46275469.html.
Lange an der DDR festgehalten
Wie viele konnte Biermann von der DDR nicht lassen, weil er hier den Kapitalismus abgeschafft sah und sie für einen „kostbaren Versuch“ hielt. Er wollte sich aber auch nicht einfach mit ihr arrangieren. Biermann strebte einen Sozialismus oder Kommunismus „mit menschlichem Antlitz“ an, wie die Parole des Arbeiteraufstands in Ungarn 1956 lautete. Biermann erhielt Berufsverbot. Seine erste wichtige Schallplatte „Chausseestraße 131“ nahm er 1968 in seiner Wohnung eben in der Chausseestraße in Ostberlin auf: https://www.youtube.com/playlist?list=PL349D8CAF0FFD8B9F.. Sie wurde im Westen gepresst und verkauft. Hier dichtete er in dem Lied „So soll es sein“:
„So oder so, die Erde wird rot: / Entweder leben-rot oder tod-rot / Wir mischen uns da bisschen ein / So soll es sein / So wird es sein.“ Er knüpfte damit an Luxemburgs Formulierung „Sozialismus oder Barbarei“ an. Vor Augen hatte er in dieser Zeit die 68er-Bewegungen und den Aufbruch des Prager Frühlings, der demokratischen Massenbewegung in der Tschechoslowakei gegen die stalinistische Herrschaft. Im Jahr 1976 wurde ein junger Mann, der in der DDR zum Jahrestag der Niederschlagung des Prager Frühlings mithilfe russischer Panzer ein Gedicht Biermanns an Bäume genagelt hatte, zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41331061.html.
Nach den Schüssen auf Rudi Dutschke, einen wichtigen Aktivisten des westdeutschen Sozialistischen Studentenbunds, der am Tag des Mauerbaus „Republikflucht“ aus der DDR begangen hatte, griff Biermann die Springer-Presse und den „Edel-Nazi-Kanzler“ Kiesinger in einem Lied an. In einem anderen nannte er US-Präsident Lyndon B. Johnson als Verantwortlichen für den Vietnamkrieg den „Mörderpräsidenten“. Mehrere westdeutsche Schallplattenfirmen weigerten sich, diese Lieder herauszubringen: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45935413.html.
Lieder über Che Guevara und Salvador Allende
Eins seiner beeindruckendsten Lieder war die Ballade über die Erschießung eines filmenden Kameramanns während des von den USA geförderten Militärputsches in Chile (eine wahre Begebenheit). Biermann wütete seinerzeit: „Ach, Macht kommt aus den Fäusten / Nicht nur aus dem guten Gesicht / Aus Mündungen kommt die Macht ja, / und nur aus den Mündern nicht.“ Er nennt es die „bittere Wahrheit der Unidad Popular“, der Volksfrontpolitik des chilenischen Präsidenten Salvador Allendes, der nach einem ersten Putschversuch des Militärs auch noch hochrangige rechtsgerichtete Offiziere in seine Regierung aufnahm: https://www.youtube.com/watch?v=yGcZsUZvilE Auf dem Album „Es gibt ein Leben nach dem Tod“ besang Biermann auch den „Commandante Che Guerava“.
Dutschke berichte 1973 über das Weltjugendfestival in Ostberlin (das er erst auf Druck anderer westlicher Teilnehmer besuchen durfte): „Wolf Biermann musste kurz vor dem Ende des Festivals vor einfachen FDJlern und Arbeitern der Republik auf der Straße im Rahmen einer Diskussion zweimal sein neues Ché-Guevara-Lied ohne Gitarre singen und erntete riesigen Beifall. Vor 50 bis 100 Menschen. Ein Altstalinist jammerte: ‚So hat die Konterrevolution immer angefangen‘. Lachen und Entrüstung erntete er“: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41926490.html.
Vor 7000 Gewerkschaftern gesungen
Mit dem Lied „So soll es sein“ leitete Biermann im Jahr 1976, als er schließlich in die BRD reisen durfte, sein Konzert in der Kölner Sporthalle ein. Die IG Metall hatte ihn eingeladen und er erhielt brausenden Applaus von gut 7000 Gewerkschaftern und Linken unterschiedlichster Färbung: http://www.youtube.com/watch?v=NPLrl_Z4Bf8. Zu dieser Zeit hoffte er auf den Eurokommunismus. Dabei handelte es sich um eine Strömung in den westeuropäischen kommunistischen Parteien, die sich nach der Niederschlagung des Prager Frühlings vom „Staatskommunismus sowjetischen Typs“, wie Dutschke es nannte, abzusetzen begann: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41926490.html. Sie suchten nun einen „dritten Weg“ zwischen der parlamentarischen Demokratie im kapitalistischen Westen und dem osteuropäischen „Sozialismus“.
Über drei Stunden lang bespielte Biermann das Kölner Publikum. Als das Konzert im Ersten in voller Länge gezeigt wurde (was der CDU gar nicht gefiel), sahen Millionen in West wie Ost zu. Er geißelte die „bürokratische Barbarei“ der DDR und erklärte sie gleichzeitig zur „großen Errungenschaft für die deutsche Arbeiterklasse“.
Die DDR wirft ihn raus
Nach dem Konzert durfte Biermann nicht mehr zurück in die DDR reisen. In Ostdeutschland protestierten weit über hundert Künstler und Intellektuelle, darunter Stefan Heym, Christa Wolf, Robert Havemann, Katharina Thalbach und Nina Hagen, gegen seine Ausbürgerung. In den Hörsälen ostdeutscher Unis erzwangen Studierende Diskussionen, während der Staatsapparat gegen „eurokommunistische Positionen“ vorging und in Betrieben Werktätige zu Einzelgesprächen über den „Fall Biermann“ holte, weil er sogar spontane Streiks fürchtete. Es folgte ein Exodus von Künstlern aus der DDR, freiwillig oder erzwungen. Um die Unruhe einzufangen, ließ sich die evangelische Kirche einspannen, Räume für streng von der Stasi überwachte oppositionelle Gruppen zu schaffen: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-40616853.html:
CDU noch CSU begannen schon bald scharfzumachen gegen zu viel Spielraum für „linke Gesellschaftsveränderer“ in den Westmedien und Biermanns „roten Liederzirkus“. Es war die Zeit der noch breiten linken Bewegungen gegen Atomkraftwerke und Aufrüstung. Der Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Schleyer durch die RAF folgte der Deutsche Herbst mit ideologischer Scharfmacherei, Rasterfahndung und willkürlichen Straßenkontrollen aller, die des Linksseins verdächtigt wurden.
Wahlkampf für die Grünen
Biermann verlor mit dem Verlust der DDR seinen politischen Gegner und seinen Biss, was Hand in Hand ging mit dem Niedergang der sozialen Bewegungen insgesamt. Im Jahr 1980 ging er im Wahlkampf unter dem Motto „Es grünt so grün“ auf Tour für die noch junge Partei der Grünen. Die Unterdrückung der Arbeiterbewegung Solidarnosc in Polen Anfang der 1980er Jahre beförderte weiterhin seine Abkehr von sozialistischen Ideen.
Als Massenproteste das politische System der DDR Ende 1989 zu Fall brachten, durfte Biermann im Dezember in Leipzig auftreten. Er sang gegen die „verdorbenen Greise“ der Staatsführung, Leute wie Honecker und Krenz. Zum Westen aber fiel ihm nur noch ein, er sei auch nicht das „Gelbe vom Ei“.
Auf dem Schoß der CSU
Ende der 1990er Jahre saß er dann in Wildbad Kreuth der CSU am Kamin auf dem Schoß. Jetzt spielt er unter freudigem Applaus der Konservativen den „Drachentöter“ im Bundestag, der die LINKE bekämpfen will. Die Anmaßung des Drachen geht auf sein Stück „Der Dra-Dra“, ein eher zweifelhaftes Politmusical gegen Diktatoren, zurück, das 1970 in Westdeutschland aufgeführt wurde.
Der britische Sozialist Chris Harman nannte die Revolution in Osteuropa 1989 einen „Schritt zur Seite“: Das politische System wurde gestürzt, die wirtschaftliche Macht ging von einer staatskapitalistischen Bürokratie Ost auf das privatkapitalistische System West über. Der Schritt nach vorne muss noch gemacht werden, dann wird sich die Frage stellen, ob reale Arbeitermacht den Drachen Kapitalismus schlagen kann. Biermann werden wir nicht mehr an unserer Seite haben, aber vielleicht singen wir ihm ein paar Strophen aus „So soll es sein“, insbesondere diese:
Freiheit – Freiheit von Freiheitsdemagogie –
Nehmt euch die Freiheit, sonst kommt sie nie!
Auch Liberale wer’n wir befrei’n!
so soll es sein
so soll es sein
so wird es sein
Foto: Eva Freude
Schlagwörter: BRD, Bundestag, DDR, DIE LINKE, Kultur, Musik, Stasi