Wolfgang Schorlaus Kriminalromane über den Privatdetektiv Georg Dengler gehören zu den erfolgreichsten in Deutschland. Warum sie immer von wahren politischen Ereignissen handeln, erklärt er im marx21-Gespräch.
Marx21.de: Herr Schorlau, Sie haben ein Software-Unternehmen geleitet, sind aber 2001 ausgestiegen und haben mit umgerechnet weniger als 10.000 Euro auf dem Konto angefangen, einen Kriminalroman zu schreiben. War das vernünftig oder wahnsinnig?
Wolfgang Schorlau: Eher Wahnsinn. Ich hatte keine Ahnung, wie die Verlagsbranche funktioniert. Der Mut des Ahnungslosen beflügelte mich.
Sie waren ab Ihrem elften Lebensjahr im Waisenhaus. Wie hat sich Ihr Interesse für Literatur entwickelt?
Meine Mutter war alleinerziehend mit zwei Söhnen, und das war für keinen von uns dreien einfach. Ich habe schon vor dem ersten Schuljahr angefangen, Buchstaben und Wörter zu entschlüsseln und auch früh lesen gelernt, um der Realität zu entfliehen. Lesen war für mich immer eine Reise in eine andere Welt, eine Flucht aus der Wirklichkeit, auch und gerade im Waisenhaus.
Sie waren 1968 als Lehrling in Freiburg politisch engagiert. Was war dort los?
Damals gab es in vielen westdeutschen Städten neben der bekannteren Studenten- auch die Lehrlingsbewegung. Das war eine linke Bewegung, die sich für bessere Ausbildung und Bezahlung eingesetzt und diese Forderungen auch in die Gewerkschaften getragen hat.
Politisch aktive Lehrlinge, die linke Bücher lesen?
Genau. Die Freiburger Studentenbewegung hat Lesekreise für linke, politische Bücher organisiert und speziell Lehrlinge dazu eingeladen. Wir haben „Das Kapital“ von Karl Marx gelesen, „Was tun?“ von Wladimir Lenin und Texte von Ernest Mandel. Aber auch Sigmund Freud und Wilhelm Reich.
Was haben diese Texte für Sie bedeutet?
Sie waren für mich die einzige Möglichkeit, so etwas wie Bildung zu bekommen. Ein bisschen einseitig, sicher, aber die linken Studenten stießen Fenster und Türen für mich auf, von denen ich vorher nicht einmal wusste, dass es sie gab.
In den 70er Jahren waren Sie im Kommunistischen Bund Westdeutschland (KBW) aktiv.
Den KBW, insbesondere in seiner harten dogmatischen Mittel- und Endphase sehe ich heute als den Preis an, den ich dafür zu zahlen hatte, dass mein Leben durch die 68ger-Bewegung eine neue Richtung bekommen hatte. Dieser Preis war nicht niedrig, die Lektion war hart, aber so war es nun einmal.
Was lief falsch?
Wir gingen davon aus, dass der Kapitalismus bald gestürzt werden könnte. Zudem war der KBW maoistisch und sah in China den Sozialismus verwirklicht. Nahezu alle Einschätzungen der Lage waren idealistisch und falsch, aber wegen des Dogmatismus führte das nicht zu einer Korrektur, sondern zur Realitätsverweigerung und zur Ausbildung sektenartigen Verhaltens.
Warum schreiben Sie Kriminalromane? Interessiert Sie die Polizeiarbeit?
Schon, aber das ist nicht der Grund. Meine Hauptfigur Georg Dengler ist Privatdetektiv. Der Kern meiner Romane sind nicht „normale“ Verbrechen, sondern Geschichten mit einem politischen oder gesellschaftlichen Hintergrund. Man könnte sie auch ohne Ermittler erzählen, aber dann wären sie weniger spannend.
Ihr erster Roman „Die blaue Liste“ erzählt 2003, dass der Präsident der Treuhandanstalt Detlev Rohwedder 1991 möglicherweise nicht von der RAF ermordet wurde, wie die Polizei ermittelt hat. Sind Sie Verschwörungstheoretiker?
Ich stelle keine Theorien auf; ich erzähle Geschichten, in der reale Ereignisse aus einem neuen Blickwinkel gezeigt werden. Warum soll alles, was die Polizei und Justiz sagt, immer wahr sein? Warum sollten wir nicht mal in eine andere Richtung denken?
Ist es denkbar, dass der Staat einen Manager wie Rohwedder ermordet?
Das muss jeder selbst entscheiden. Aber bei dieser Entscheidung muss man berücksichtigen, dass Rohwedder die ostdeutsche Wirtschaft wesentlich sozialverträglicher privatisieren wollte, als seine Gegner und dass es deshalb tatsächlichen einen wichtigen Machtkampf gab. Dieser Konflikt wurde ohne öffentliche Diskussion, ohne Wahl nur mit einem einzigen Schuss beendet und die Privatisierung der ostdeutschen Wirtschaft verursachte all die fatalen Folgen, die wir kennen.
„Die blaue Linie“ hatte sich damals noch nicht so gut verkauft, wie ihre heutigen Romane. Wie viel bekommen Sie pro verkauftes Buch?
Wenn Sie einen Roman von mir als Taschenbuch für 10 Euro kaufen, bekomme ich davon nicht einmal 1 Euro. Schriftsteller können nur bei großen Auflagen von ihrem Beruf leben.
In „Das München-Komplott“ von 2009 bezweifelt Georg Dengler, dass das Attentat auf dem Münchener Oktoberfest 1980 nur von einem Nazi als Einzeltäter begangen wurde …
… und im Dezember 2014 hat die Bundesanwaltschaft bekannt gegeben, dass sie dazu neue Ermittlungen aufnimmt.
Haben Sie geholfen, die Wahrheit ans Licht zu bringen?
Mein Buch hat geholfen. Aber entscheidend sind engagierte Anwälte und Journalisten. Wozu ich beitragen kann, ist, eine gesellschaftliche Atmosphäre zu schaffen, in der sich Menschen dafür interessieren, dass etwas nicht stimmt und welche verschiedenen Sichtweisen es gibt. Das ist schon viel wert.
In „Die letzte Flucht“ von 2011 findet Dengler heraus, dass Pharmakonzerne tausende Ärzte und Wissenschaftler bestechen, damit ihre Medikamente verwendet werden. Ist so etwas möglich?
Groß angelegter Betrug passiert seit Jahrzehnten und wenn alle davon profitieren halten alle den Mund. Ich habe reale Geschäftsmodelle untersucht und diese in einer spannenden Story präsentiert.
An anderer Stelle thematisieren Sie in „Die letzte Flucht“ die Bewegung gegen „Stuttgart 21“, in der Sie sich ja auch persönlich engagiert haben. Wurden sie dafür nicht von Lesern kritisiert?
Oh ja. Dazu bekam ich ziemlich viele Mails, sowohl unterstützende als auch viel Kritik. Aber das beeinflusst mich nicht. Ich wohne selbst in Stuttgart und bin vom Tiefbahnhof persönlich betroffen. Deshalb habe ich auf Demonstrationen gesprochen und ein Buch mit Argumenten gegen „Stuttgart 21“ herausgegeben.
Wolfgang Schorlau 2011 auf einer Großdemonstration vor der Volksabstimmung über Stuttgart 21:
In Ihrem aktuellen Buch „Am zwölften Tag“ geht es unter anderem um die extreme Ausbeutung von Arbeitern in Schlachthöfen und der gesamten Lebensmittelindustrie. Hat der Mindestlohn das behoben?
Es gibt mehr als genug Tricks, um Menschen diesen Mindestlohn vorzuenthalten. Arbeiter müssen zum Beispiel für hohe Mieten in übelsten Baracken wohnen. Oder sie müssen eine Gebühr für die Benutzung ihres Arbeitswerkzeugs bezahlen. Die extreme Ausbeutung geht leider weiter.
Würden Sie jemand anders empfehlen, politische und kritische Romane zu schreiben oder ist das zu schwierig?
Ich würde es jedem empfehlen, der eine gute Geschichte hat. Das war der Hauptgrund dafür, dass ich Autor werden konnte.
Das reicht schon?
Natürlich gibt es viele gute Geschichten, die niemals gedruckt werden. Aber das ist die Voraussetzung, um es zu versuchen.
Wann erscheint Denglers achter Fall?
Voraussichtlich im September. Es geht um die Mordserie der NSU-Nazis und darum, wie der Verfassungsschutz in den 90er Jahren die Nazi-Szene in Thüringen gezielt aufgebaut hat.
Warum sollte er das getan haben?
Nach der Wende wollten die westdeutschen Geheimdienste neue Strukturen im Osten aufbauen. Sie hatten Angst, dass die Netzwerke des riesigen DDR-Staats aus Stasi, Polizei und Armee teilweise erhalten bleiben und weiter aktiv sein würden.
Und die Nazi-Organisationen …
… wurden mindestens in Thüringen vom Verfassungsschutz aufgebaut. Die Angst vor den Stasi-Netzwerken war zwar unbegründet. Aber die Nazi-Szene war trotzdem entstanden und sie blieb lange ein Verbündeter von Geheimdienst und Polizei.
Ein einmaliger Vorgang?
Überhaupt nicht. Schon die DDR hat Neonazis toleriert, zugelassen, dass sie westdeutsche Nazis treffen und sie benutzt, um Treffen der Bürgerrechtsbewegung zu sprengen und ihre Teilnehmer zu verprügeln. Manchmal gleichen sich Geheimdienste dann doch sehr.
Was wird Dengler in seinem nächsten Fall herausfinden?
Das kann ich im Detail nicht verraten. Ich schreibe ja noch am Buch. Nur so viel: Nichts am NSU-Komplex ist so, wie es auf den ersten Blick aussieht. Der genauere Blick erzählt dann immer eine zweite Geschichte. Ich bin mittlerweile überzeugt, dass Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nicht durch Selbstmord aus ihrem verpfuschten Leben geschieden sind. Sie wurden ermordet.
In Ihrem Roman oder in Wirklichkeit?
In beiden Fällen.
Herr Schorlau, ich danke Ihnen für das Gespräch.
(Die Fragen stellte Hans Krause.)
© Marc PoKempner, Chicago (IL)
Wolfgang Schorlaus aktueller Roman: „Am zwölften Tag: Denglers siebter Fall“, 2013, Kiepenheuer & Witsch, 9,99 Euro als Taschenbuch oder E-Book.
Argumente gegen Stuttgart 21: Wolfgang Schorlau (Herausgeber): „Stuttgart 21“, 2010, Kiepenheuer & Witsch, 6,10 Euro broschiert oder 8,49 Euro als E-Book.
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