Angela Merkel ist seit zehn Jahren Bundeskanzlerin. Sie scheint unangreifbar, doch das könnte sich schnell ändern. Von Hans Krause
Die Wahl ist so gut wie gewonnen. Angela Merkel und die CDU stehen in Umfragen durchschnittlich bei 42 Prozent. Die SPD liegt bei 25. Doch nicht nur die Bundestagswahl 2017 scheint jetzt schon entschieden. Auch in einer ganz anderen Abstimmung spielte die Kanzlerin lange Zeit vorne mit: Bei der Wahl zum »Jugendwort 2015« gehörte »merkeln« gemeinsam mit »rumoxidieren« (Bedeutung: chillen) und »Earthporn« (schöne Landschaft) zu den Favoriten. Gewonnen hat schließlich »Smombie« (eine Kombination aus »Smartphone« und »Zmombie«).
Laut jugendwort.de, der Internetseite, auf der man »voten« kann, ist die Bedeutung von »merkeln«: »keine Entscheidung treffen«. Dass selbst Jugendliche mit der Kanzlerin eine langweilige, aber eher harmlose Zaghaftigkeit verbinden, sagt viel über ihre Strategie des Herrschens aus, aber wenig über ihre tatsächliche Politik.
Denn seit 2005 setzt Merkel alles fort, was Gerhard Schröder begonnen hat, und geht noch darüber hinaus. Die Umsetzung von Hartz IV und der Krieg in Afghanistan fallen größtenteils in die Amtszeit Merkels.
Politik gegen die Menschen
Die Unternehmenssteuerreform von 2008 war die größte Umverteilung von unten nach oben seit der Wiedervereinigung. Kurz darauf folgte das »Finanzmarktstabilisierungsgesetz«: Die Regierung stellte in der weltweiten Wirtschaftskrise 480 Milliarden Euro für die Rettung von Banken bereit. Auch die Einführung der Rente mit 67 und die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 19 Prozent gehören zu Merkels Politik gegen die Menschen und für die Wirtschaft.
Viele Politiker und Journalisten behaupten, dass Merkel all dies umsetzt, ohne dass die Menschen darunter leiden. Doch tatsächlich sind laut Paritätischem Wohlfahrtsverband heute mit 15,5 Prozent mehr Menschen arm als je zuvor in Merkels Amtszeit. Obwohl offiziell »nur« 2,8 Millionen arbeitslos sind, müssen 6,1 Millionen Erwachsene und Kinder von Hartz IV leben.
Merkels Unterschied zu ihren Vorgängern Kohl und Schröder ist, dass sie ihre Politik der sozialen Ungerechtigkeit nicht begründet, sondern sie verschweigt oder leugnet. Während Schröder seinen Krieg gegen Arbeitslose mit Sprüchen wie »Es gibt kein Recht auf Faulheit« aggressiv vorantrieb, sind die berühmtesten Sätze von Merkel: »Das ist alternativlos« und »Deutschland geht es gut«.
Kombination aus harter Politik und leeren Phrasen
Zehn Jahre lang hat die Kanzlerin diese Kombination aus harter Politik und leeren Phrasen durchgezogen, ohne ernsthaft herausgefordert zu werden. Doch steckt hinter dieser Strategie auch ein großes Risiko für Merkel.
Denn wer Politik nur macht, aber nicht begründet, kann sie auch nicht rechtfertigen, wenn die Menschen eine Alternative finden, für die sie bereit sind, zu kämpfen. Unzufrieden mit Merkels Politik für Banken, Reiche und Konzerne sind bereits Millionen. Eine große Gegenbewegung ist aber noch nicht in Sicht.
Doch Erzieherinnen und Lokführer, Angestellte der Deutschen Post und des Krankenhauses Charité in Berlin haben in teils wochenlangen Streiks bewiesen, dass sie nicht mehr bereit sind, jede Arbeitsbelastung und immer niedrigere Löhne hinzunehmen. Gewinnen solche Bewegungen an Stärke, zum Beispiel durch Streiks in der Industrie oder eine LINKE, die für politische Ziele nicht nur steht, sondern auch auf die Straße geht, kann Merkel schnell zur schwächsten Kanzlerin seit vielen Jahrzehnten werden. Denn wer glaubt noch, dass sie »alternativlos« ist, wenn die Alternative in bestreikten und besetzten Betrieben offensichtlich wird?
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