Ein neuer Film namens »Zeit der Verleumder« bietet ehrliche Einblicke in die Diskussion über Palästina in Deutschland. Von Phil Butland
»Am 10. Februar 2018 trafen sich deutsche, israelische, britische und US-amerikanische Wissenschaftler:innen, Journalist:innen, Künstler:innen und politische Aktivist:innen in Berlin. Auf einer Konferenz mit dem Titel »Zur Zeit der Verleumder« nach einem Gedicht von Erich Fried analysierten sie gemeinsam mit rund 250 Besucher:innen die ideologische Instrumentalisierung von Juden und Jüdinnen, Judentum und der jüdischen Katastrophe zur Legitimation rechter Machtpolitik, von Antikommunismus, Geschichtsrevisionismus und (antimuslimischem) Rassismus in der westlichen Welt.«
So lautete der einleitende Titel des neuen Films »Zeit der Verleumder« von Dror Dayan und Susann Witt-Stahl, der den Untertitel »Eine ideologiekritische Intervention« trägt. Als einer der damaligen 250 anwesenden Besucher habe ich ein besonderes Interesse an diesem Dokumentarfilm.
Die Besetzung ist beeindruckend: Die Schauspieler Rolf Becker und Jürgen Jung, der Historiker Moshe Zuckermann, die britische jüdisch-schwarze Aktivistin Jackie Walker, der Theologe Hans Christoph Stoodt, die palästinensischen Aktivisten Fouad El Hay und Ali Abunimah, der Philosoph Moshé Machover und viele mehr haben auf der Konferenz gesprochen und sind in dem Film zu sehen.
Verschiedene Redner:innen diskutieren die derzeitige Debatte über Israel/Palästina im Kontext der internationalen Entwicklungen. In den letzten Jahren haben wir den Aufstieg von Parteien wie der AfD und der evangelikalen Rechten um Politiker wie Donald Trump erlebt. Sowohl Zuckermann als auch Abunimah erörtern, wie eine Art von Rassismus – der Antisemitismus – durch eine andere – die Islamophobie ‒ reproduziert wird, sodass Vorurteile bestehen bleiben und gegen eine andere Gruppe eingesetzt werden.
Die Anschuldigungen
Für Walker ist der Zeitpunkt der Konferenz wichtig: Sie fand statt, als Jeremy Corbyn noch Vorsitzender der britischen Labour-Partei war, in der Zeit zwischen den Wahlen 2017 und 2019. In dieser Zeit erreichten die unwahren Antisemitismusvorwürfe gegen Corbyn und seine Partei ihren Höhepunkt. Walker spricht eindrucksvoll darüber, wie solche Anschuldigungen sowohl in Großbritannien als auch international als Waffe gegen die Linke eingesetzt wurden und werden.
Wir werden später daran erinnert, dass das Simon-Wiesenthal-Zentrum Corbyn als »die größte globale Bedrohung für Juden« bezeichnete. In Großbritannien wie auch, in anderen Ländern zu dieser Zeit, diente damals der Vorwurf des Antisemitismus als politische Waffe, um sowohl die Solidarität mit Palästina als auch die sich herausbildende neue Linke zum Schweigen zu bringen.
Becker erklärt, dass es bei der Instrumentalisierung des Holocausts nicht nur um Palästina geht: Der ehemalige Außenminister der Grünen, Joschka Fischer, rechtfertigte die Bombardierung Jugoslawiens – den ersten deutschen militärischen Nachkriegseinsatz – mit seiner, wie er behauptete, Angst vor einem »zweiten Auschwitz«.
Zuckermann führt ein »spezifisch deutsches Problem« an, das er als »verlängerten Arm Hitlers« bezeichnet, und spricht von einer »fast hysterischen Solidarität mit Israel«. Seiner Auffassung nach gibt es einen deutschen Philosemitismus, der Juden und Jüdinnen zum Fetisch erhebt, ihnen ihre Individualität abspricht und dieselben Wurzeln wie der Antisemitismus hat. Dies, so argumentiert er provokativ, habe durchaus Ähnlichkeiten damit, wie die Nazis Juden und Jüdinnen behandelt haben.
Die falsche Art von Juden und Jüdinnen
Die Geografin Christin Bernhold erklärt, wie der Vorwurf des Antisemitismus in der Praxis funktioniert. Ein Jahr zuvor wurde das Bankkonto der deutsch-jüdischen Organisation Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost (JS) gesperrt. Als Grund wurde angegeben, dass die JS die gegen den israelische Staat gerichtete Kampagne Boycott, Divestment and Sanctions (BDS) unterstützt. Wie JS-Vorstandsmitglied Shir Hever sagt, war dies das erste Mal seit dem Ende des Naziregimes, dass eine deutsche Bank das Konto einer jüdischen Organisation gesperrt hat.
Viele der Redner:innen – die meisten von ihnen jüdisch – berichten von persönlichen Angriffen auf sie. Die jüdische Journalistin Judith Bernstein wurde beschuldigt, »keine echte Jüdin« zu sein. Walker wurde diffamiert, eine Holocaust-Leugnerin zu sein, und Becker verleumdet als ein »jüdischer Augenzeuge, der Antisemiten von ihrer Schuld befreit«. Natürlich ist keine dieser Anschuldigungen wahr, aber die Hoffnung war, dass von dem Dreck genug hängen bleibt. Und genau das ist mit Corbyn geschehen.
Ein Teil des Films befasst sich mit der Definition von Antisemitismus, wie sie von der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) entwickelt wurde. Diese Kriterien wurden unter anderem von Corbyns Labour-Partei vollständig übernommen. David Feldman vom Pears Institute for the Study of Antisemitism stellt fest, dass die IHRA-Definition »ungenau ist und Antisemitismus von anderen Formen der Intoleranz trennt«.
Doch weil die organisierte Linke dem nichts entgegensetzt, können weiterhin unwidersprochen vage und unbegründete Antisemitismusvorwürfe erhoben werden.
Die Identifizierung des Problems
Schade ist, dass der Film wie schon die Konferenz der Diskussion über die sogenannten Antideutschen zu viel Raum gibt. Die Kritik an dieser seltsamen proisraelischen Gruppe, die sich als Teil der deutschen Linken versteht, ist zwar richtig, übertreibt aber deren Einfluss. Außerhalb einiger Universitäten und der ultralinken Szene wissen nur sehr wenige Menschen von ihnen.
Ebenso gab es viele berechtigte Kritikpunkte an der deutschen Linken insgesamt und an der Partei Die LINKE im Allgemeinen. Becker stellt fest, dass der Berliner LINKE-Kultursenator Klaus Lederer für sich in Anspruch genommen hat, »für eine ›leise‹, neue Linke zu stehen, die den zentralen Widerspruch nicht zwischen Kapital und Arbeit sieht, sondern die inneren Widersprüche im Kapitalverhältnis«. Dies ist, erklärt Becker, ein klarer Versuch, den Anschluss an den Kapitalismus zu rechtfertigen, und steht im Zusammenhang mit Lederers Pro-Israel-Haltung.
Ich widerspreche seiner Analyse nicht, das Hauptproblem ist jedoch nicht, dass die Antideutschen und Lederer sich generell gegen die Rechte der Palästinenser:innen stellen, sondern dass die Mehrheit der deutschen Linken mit Berufung auf die deutsche Geschichte zögert, überhaupt Stellung zur Unterdrückung der Palästinenser:innen zu beziehen. Deshalb erkennen sie die an den Palästinensern begangenen Verbrechen nicht an. Diese fehlende Debatte ein viel größeres Hindernis für den Aufbau von Solidarität mit den Palästinenser:innen. Die Frage ist: Wie können wir diese Debatte eröffnen?
Ohne eine Alternative anzubieten, laufen Kritiken wie die von Becker Gefahr, uns in die Sackgasse der Schuldzuweisung zu führen, ohne einen Ausweg zu sehen. Die Dokumentation »Zeit der Verleumder« bietet reichlich Munition, um zu zeigen, warum die Palästinenser:innen unsere Unterstützung dringend benötigen. Diese Unterstützung muss in konkrete Aktionen münden, um mehr als nur eine kleine Minderheit der deutschen Gesellschaft einzubeziehen.
Wie können wir darauf reagieren?
Becker schließt mit einem Zitat von Bertolt Brecht: »Wir müssen sagen, dass gefoltert wird, weil die Eigentumsverhältnisse bleiben sollen. Freilich, wenn wir dies sagen, verlieren wir viele Freunde, die gegen das Foltern sind, weil sie glauben, die Eigentumsverhältnisse könnten auch ohne Foltern aufrechterhalten bleiben (was unwahr ist).«
Machover zieht daraus folgenden Schluss: »Letztendlich kann und wird der Zionismus durch die Einheit der Arbeiterklasse der gesamten Region, das heißt des arabischen Ostens und Israels, gestürzt werden.« Ich teile zwar nicht Machovers Illusion, dass die israelische »Arbeiterklasse« ein Interesse daran hätte, aber es ist erfrischend, dass er eine Lösung anbietet, die nicht von dem Handeln westlicher Mächte abhängt.
Zuckermanns Schlussfolgerung lautet, dass »alles, was historisch geschehen ist, historisch überwunden werden kann. Es gibt nichts in der Menschheitsgeschichte, das sich nicht in irgendeiner Weise zu einem Wendepunkt entwickeln kann.« Becker sagt schlicht: »Zeig, auf welcher Seite du stehst.« Entsprechend ruft Machover deutsche Aktivist:innen dazu auf, gegen die Lieferung von Atom-U-Booten an Israel seitens der deutschen Regierung aktiv zu werden.
Der Film schließt mit einer Erklärung der leider kürzlich verstorbenen Musikerin und Holocaust-Überlebenden Esther Bejarano:
»Zu der menschenverachtenden Politik der Netanjahu-Regierung in Israel haben meine Weggefährten Moshe Zuckermann und Rolf Becker unsere Kritik umfassend dargelegt. Was Adolf Hitler und die Nationalsozialisten dem jüdischen Volk angetan haben – die Vernichtung von 6 Millionen Menschen, der Holocaust – darf nicht die Rechtfertigung Israels für die Diskriminierung des palästinensischen Volkes sein. Es ist besonders wichtig, dass jeder in Deutschland, in dem ein menschliches Herz schlägt, endlich erkennt, dass Kritik an der Politik Israels nicht mit Antisemitismus gleichzusetzen ist. Ich habe nicht das Vernichtungslager Auschwitz, das KZ Ravensbrück und den Todesmarsch überlebt, um von sogenannten Antideutschen und Konsorten als ›Antisemitin‹ beschimpft zu werden.«
»Zeit der Verleumder« zeigt, warum es für uns, die wir in Deutschland leben, notwendig ist, das Thema Palästina unermüdlich in allen fortschrittlichen Organisationen und Bewegungen anzusprechen. Er gibt uns auch Argumente an die Hand, die wir nutzen können. Den nächsten Schritt müssen wir selbst tun.
Diese Rezension erschien zuerst auf Englisch bei The Left Berlin.
Foto: Zeit der Verleumder
Schlagwörter: Antideutsche, Antisemitismus, Kultur, Palästina