Die Wirtschaftsweisen verbreiten gute Stimmung, doch die ökonomische Entwicklung steht auf tönernen Füßen. Es wäre schwer für Angela Merkel, mit den Krisenrezepten von 2009 die Wirtschaft ein zweites Mal zu retten, meint Thomas Walter
Im neunten Jahr nach Ausbruch der »Großen Rezession« in den USA 2007 arbeiten die Zentralbanken weltweit immer noch im Krisenmodus. Sie kaufen in großem Umfang Schuldscheine, also Schulden von Staaten und Firmen, auf, um Regierungen und Konzerne mit Geld zu versorgen. Dieses Vorgehen heißt »Quantitative Easing«, kurz QE, offiziell auf Deutsch auch »quantitative Lockerung«.
Die Zentralbanken übernehmen mit diesen Schulden aber auch das Risiko eines Zahlungsausfalls. Das kann den Zentralbanken insofern egal sein, als sie ihr eigenes Geld drucken. Kritiker befürchten aber, dass private Banken so ihre Verluste auf den Staat und damit auf die Allgemeinheit abwälzen.
Neben dem QE greifen die Zentralbanken durch ihre Leitzinsen ein, die nun schon länger fast Null oder gar negativ sind. Banken können sich also bei der Zentralbank Geld leihen und müssen dafür fast keine Zinsen zahlen. Umgekehrt bekommen sie auf ihre Einlagen bei den Zentralbanken keine Zinsen oder müssen sogar Strafzinsen dafür zahlen.
Bislang scheint so ein weiterer schwerer Einbruch wie 2009 verhindert worden zu sein. Die Zentralbanken als »lender of last resort« (»wer in letzter Not – den Banken – noch Geld leiht«) stellten eine gewisse Absicherung für Finanzgeschäfte her und stabilisierten so bislang die Ökonomie. Doch Wirtschaftsjournalisten befürchten, dass es trotzdem wieder zu einer akuten Krise kommen könnte wie zuletzt 2009. Damals ging das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland um fünf Prozent zurück – der größte Einbruch seit dem Zweiten Weltkrieg.
Konjunkturprogramme gegen die Krise
Eigentlich hätte man erwarten können, dass das exportabhängige Deutschland von der letzten Krise stark getroffen würde. Zunächst war das auch so: Die Exporte brachen ein, im Ausland angelegtes Finanzvermögen ging verloren. Es kam dann aber doch anders.
Wegen seiner langjährigen Exporterfolge galt Deutschland in der weltweiten Rezession für internationales Kapital als sicherer Hafen. Die Bundesregierung konnte sich auf den Kapitalmärkten problemlos verschulden. Sie bekam dank der negativen Zinsen sogar noch Geld dafür. So konnte sie die Staatsverschuldung praktisch kostenlos erhöhen und damit die Krise überbrücken.
Berlin legte damit Konjunkturprogramme und Kreditprogramme für Unternehmen auf. Mit dem Kurzarbeitergeld rettete die Regierung Belegschaften über die Krise. Die Arbeitslosigkeit stieg in Deutschland letztlich nicht, umso mehr aber in Ländern wie Griechenland oder Spanien.
Arbeiterklasse trägt Krisenlast
Einen Teil der Krisenlasten wälzte die Regierung auf die Beschäftigten ab. Das Kurzarbeitergeld wurde zum Teil von den Beiträgen der Arbeiterinnen und Arbeiter selbst, zum Teil durch einen Bundeszuschuss über Steuern finanziert. Es glich die Einkommensverluste der Arbeitnehmer nicht völlig aus.
Die Regierung Schröder hatte schon vor Jahren dafür gesorgt, dass kommende Krisen leichter auf die Arbeiterklasse überwälzt werden können. So wurden Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter, deren große Zahl Gerhard Schröders »Arbeitsmarktreformen« erst möglich gemacht haben, als »Puffer« für die Dauer der Krise entlassen.
Die Altersvorsorge hat die Regierung Schröder mit der Riesterrente zum Teil den Finanzmärkten anvertraut. Wertverluste auf den Finanzmärkten gehen auch zu Lasten von Rentenansprüchen aus diesen privaten (aber staatlich geförderten) Rentenversicherungen. Die wegen der Krise niedrigen Zinsen führen dazu, dass Sparprogramme für die Altersvorsorge kaum mehr etwas abwerfen.
Keine gewinnversprechenden Anlagemöglichkeiten
Derzeit streiten die Experten, wie lange Regierungen und Zentralbanken einen stärkeren Einbruch verhindern können. Weltweit sind die Profitraten, ganz gemäß dem marxschen Gesetz von deren tendenziellem Fall, sehr niedrig. Weil die Zinsen nicht dauerhaft größer sein können als die Profitraten, sind auch sie derzeit sehr niedrig. Diejenigen, die Geld verdienen, finden keine gewinnversprechende Anlagemöglichkeit. Die Konzerne mögen zwar noch Gewinne machen. So verdiente der US-Ölmulti Exxon, wie die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« berichtete, »nur vier Milliarden Dollar in drei Monaten«. Aber sie können diese Profite wegen der allgemein schwachen Profitraten nicht profitabel weiterinvestieren.
Besorgniserregend ist auch, dass das QE, das schließlich das Drucken riesiger Geldmengen bedeutet, zu keiner Inflation führt. Offensichtlich verhindern die niedrige Auslastung der industriellen Kapazitäten und die schwache Lohnentwicklung, beides Krisensymptome, Inflation selbst bei diesen riesigen Geldimpulsen. Die Zentralbanken wollen aber eine leichte Inflation, damit es zu keinem allgemeinen Sinken der Preise, zu keiner Deflation, kommt. Das könnte nämlich eine neue Weltwirtschaftskrise à la 1929 bedeuten.
Zombie Business überlebt dank Staatshilfe
Können die kapitalistischen Staaten, die untereinander auch in Konkurrenz stehen, weiterhin einen Wirtschaftsabsturz verhindern, wenn sie schon keine nachhaltige Erholung erreichen? Wer eine Billion Euro druckt, kann auch zwei Billionen drucken oder drei. So werden eine akute Krise und Firmenpleiten hinausgeschoben. Firmen, die in einer akuten Krise pleitegingen, können Dank Staatshilfe als »Zombies« überleben. Sie belasten aber die Wirtschaft mit ihren niedrigen Profitraten und sind Teil der Überakkumulation. Das Ergebnis ist Stagnation.
Auch wenn die Weltwirtschaft weiterdümpelt, droht eine Ausweitung der Ideologiekrise. Der Kapitalismus braucht den Anschein, als ob Märkte sich automatisch regulieren. Je länger und je stärker der Staat die Wirtschaft durchpäppeln muss, desto mehr wird die Marktideologie brüchig. Marx hat einst in seiner Fetischtheorie beschrieben, dass kapitalistische Wirtschaften den Anschein erwecken, als würde es sich um naturgesetzliche Prozesse handeln. Dieser Anschein ist eine wichtige ideologische Stütze für kapitalistische Herrschaftsansprüche. Wenn der Staat andauernd eingreift, verfliegt dieser naturgesetzliche Anschein.
Sozialisierung der Investitionen
Die wirtschaftliche Krise wird mit den Staatseingriffen sichtbar politisch. Damit ist DIE LINKE gefordert. Dies erscheint umso wichtiger, als langsam erste Forderungen für neue Kürzungen am Sozialstaat aufkommen. So verweist die sogenannte Gemeinschaftsdiagnose der großen Wirtschaftsinstitute in ihrem Herbstgutachten 2015 darauf, dass sich die »Leistungsausweitungen« von Arbeitsministerin Andrea Nahles in der gesetzlichen Rentenversicherung bis 2030 auf 170 Milliarden Euro summieren. Wohl angesichts der Banken und Konzerne als andauernde »Sozialfälle« sind offene Angriffe auf den Sozialstaat noch rar, auch wenn der Chef des Bundes der Deutschen Industrie (BDI) kürzlich die Bevölkerung auf eine Rente mit 85 einstimmen wollte.
In Großbritannien fordert derweil der neue linke Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn angesichts des QE-Programms von der britischen Zentralbank ein »QE for the people« (»Geld der Zentralbank für die Menschen«). Das kann auch für DIE LINKE ein Vorbild sein. Wenn schon Geld in die Wirtschaft gepumpt wird, dann sollen es nicht die Banken, sondern die Bevölkerung bekommen.
Schon der englische Ökonomen John Maynard Keynes forderte eine im Krisenfall »einigermaßen umfassende Sozialisierung der Investitionen«. Wenn die privaten Konzerne mit ihren Investitionen Überakkumulation oder Profitratenfall auslösen und daher nicht mehr investieren können oder wollen, müssen demokratisch legitimierte Organe die Entscheidungen für die Wirtschaft fällen. DIE LINKE sollte angesichts von Stagnation und Krise ihre Vision einer besseren Welt offensiv vertreten.
Zur Person:
Thomas Walter ist Ökonom und Mitglied der LINKEN in Berlin.
Foto: donebythehandsofabrokenartist
Schlagwörter: Angela Merkel, EZB, Jeremy Corbyn, Kapitalismus, Krise, Merkel, Profit, Profitrate, Weltwirtschaft, Weltwirtschaftskrise, Wirtschaft, Wirtschaftskrise